
Marco Nörenberg:
Ja, guten Morgen. Als Holsteiner Jung und Betriebsratsberater habe ich, das möge man mir nachsehen, eine besondere Affinität zu den Themen rund um die Arbeitsplätze hier in meiner Heimatregion. Und da gibt es neben einer Vielzahl verschiedener Wirtschaftsbereiche natürlich alles rund um die Häfen und den Schiffsbau hier im hohen Norden. Mir ist im Rahmen meiner Podcastreihe 360° BR wichtig, auch den ein oder anderen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um vielleicht Verständnis im Rahmen des Möglichen, auch Solidarität für die besondere Situation von Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen., die um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Da gibt es hier an der Küste einiges zu diskutieren. Deshalb bin ich besonders froh, dass sich heute der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich, die Zeit nimmt, uns einen diesbezüglichen Einblick zu gewähren.
Daniel Friedrich:
Ja, also wir leben da, wo andere Urlaub machen. Wir sind industriell so aufgestellt, dass wir keine Monostruktur haben. Das heißt, wir haben Schiffbau, wir haben Luftfahrt, wir haben Automobil, wir haben Maschinenbau, Medizin, Technik, große Handwerksbereiche, also alles da. Und wir haben wunderbare Menschen, die bereit sind, für ihre Kolleginnen und Kollegen einzustehen, so dass wir hier mit unserer Gewerkschaftsarbeit einfach gucken, dass wir gute Arbeit in einem solidarischen Norden hinkriegen. Und das versuchen wir hier mit 16 Geschäftsstellen und mit tausenden Funktionärinnen hinzukriegen.
Marco Nörenberg:
Toll. Eine Umfrage der IG Metall Küste unter Betriebsräten hat ergeben, dass der Schiffsbau hierzulande, ich zitiere mal, in der Substanz gefährdet ist. Auf den Werften hat in der jüngeren Vergangenheit ja auch ein sehr deutlicher Arbeitsplatzabbau stattgefunden. Über 2.600 habe ich gelesen, auf nun knapp 14.000 Arbeitsplätze, besonders Mecklenburg-Vorpommern ist da extrem gebeutelt. Da gab es ja die Insolvenz der MV-Werften, in deren Folge sich die Anzahl der Arbeitsplätze etwa halbiert hat. Sehen wir da eine Abwärtsspirale bei den Arbeitsplätzen? Wie können Gewerkschaften, Betriebsräte und auch die Politik hier entgegensteuern?
Daniel Friedrich:
Ja, also diese Abwärtsspirale ist da und mit dem Substanzverlust, den man befürchtet oder der vielleicht auch schon in einzelnen Teilen stattgefunden hat, kommt die Branche ja insgesamt unter
Druck. Das ist ja das Thema Abwärtsspirale. Weniger Beschäftigte, weniger Standorte, weniger Firmen bedeutet natürlich auf der anderen Seite auch weniger Unterstützung durch Politik, weniger Forschung und Entwicklung, Fachkräfte, die nicht in eine Branche gehen, wo jeden Tag drinsteht, ich weiß nicht, ob ich übermorgen noch als Standort da bin. Dann sucht man sich lieber anderes und deswegen muss man diese Spirale anhalten und im besten Fall sozusagen eine Aufwärtsspirale aktivieren. Ich weiß gar nicht, ob das Wortspiel irgendwie funktioniert, aber zumindest sagen, okay, Schiffbau hat Zukunft und da spricht ja auch viel für. Wir werden weiter eine globalisierte Welt haben, wir werden den Schiffshandel, die Schifffahrt über die Weltmeere haben und von daher hat das Zukunft und man kann eben auch durch technische Veränderungen auch das grüne Schiff auf den Weg bringen. Aber wir müssen gucken, dass eben dieser Substanzverlust gestoppt wird und wieder Substanz aufgebaut wird.
Marco Nörenberg:
Daniel, die IG Metall befindet sich ja mitten in vielbeachteten Tarifverhandlungen. Markige 8% habt ihr gefordert. Wie ist denn überhaupt da der Stand bei den Tarifverhandlungen IG Metall Küste und welche Aktivitäten sind geplant, um diese berechtigten Forderungen auch durchzusetzen? Nordmetall ist ja nicht dafür bekannt bzw. dessen verdächtig allzu leicht, auf eure Forderungen einzugehen und sicher wären solche Einkommenssteigerungen auch nicht für alle Unternehmen gleich gut verkraftbar. Das stelle ich mir als eine schwierige Auseinandersetzung vor im Moment.
Daniel Friedrich:
Ja, das ist schon angesichts der kohärenten Inflation und gerade die Energiepreise und ich glaube, es ist ja allen jetzt noch nicht ganz klar, wie jetzt auch die staatlichen Entlastungsmaßnahmen wirklich am Ende des Tages sich bei den Kolleginnen und Kollegen durchschlagen. Von daher haben wir natürlich eine hohe Erwartung der Beschäftigten. Wir haben eine wirtschaftliche Situation, die jetzt nicht nur von es geht allen Betrieben wunderbar, sondern wir haben auch Anspannungsgrade und gerade die energieintensiven Betriebe wie Gießereien, Stahlwerke, für die verhandeln wir jetzt nicht, aber es gibt auch bei uns eben Aluminium oder die unter dem Tarifvertrag Metall Elektroindustrie fallen, die haben natürlich schon auch andere Sorgen als der Durchschnittsmaschinenbauer, wo die Energiepreise irgendwie bei zwei bis drei Prozent der Gesamtkosten liegen. Von daher ist das schon eine harte Auseinandersetzung. Nordmetall und Gesamtmetall verweigern sich einer schnellen Lösung. Wir haben bisher immer erzählt, wir brauchen schnell Klarheit und man müsste konstruktiv rangehen. Wir werden jetzt erleben, dass anscheinend frühestens zwei Tage vor Ende der Friedenspflicht ein materielles Angebot auf den Tisch kommt und damit sind wir natürlich sofort in der Frage, dass wir für ein gutes Ergebnis auch aktiv sein müssen.
Marco Nörenberg:
Wie ist denn da überhaupt die Mobilisierungslage, wenn ich da mal kurz nachfragen darf, denn das ist ja tatsächlich auch eine Forderung, also ich erlebe das auch in anderen Branchen, die wird überall diskutiert, diese acht Prozent, die die IG Metall da als Marke gesetzt hat. Da guckt im Grunde genommen die ganze Wirtschaft, ich sag mal zumindest arbeitnehmerseitig, erlebe ich das in Branchen bei auch anderen Betriebsräten, überall wird über diese acht Prozent gesprochen, die die IG Metall hier fordert. Rechnet ihr da mit einer wirklich harten Auseinandersetzung oder ist man da schon dicht beieinander? Ich meine, klar, Angebot liegt noch nicht vor, aber wahrscheinlich ist es doch so, dass da ja im Grunde genommen erkennt, ob man meilenweit von der Lösung weg ist oder ob das tatsächlich, wie soll ich sagen, auf eine Einigung hinausläuft.
Daniel Friedrich:
Ja, es ist die Frage derer, die sich durchsetzen auf der Arbeitgeberseite. Da sind im Moment die, die eher die Horrorszenarien bewegen und sagen, wir laufen auf Gasnotlage um und die Wirtschaft bricht zusammen. Wenn dann irgendwo in der Zeitung jemand das Wort Rezession sozusagen benutzt, dann wird das als Beispiel dafür genommen, warum man jetzt keinen vernünftigen Tarifabschluss machen könnte. Und wir sagen ganz deutlich, alle Wirtschaftsgutachten, egal wo man hinguckt, haben immer einen Punkt. Erstens, es geht darum, wie können die Kollegen entlastet werden? Deswegen haben wir mit unseren 8-Prozent-Forderungen gesagt, wir als Tarifvertragsparteien müssen unseren Anteil für die Sicherung der Kaufkraft der Beschäftigten machen, aber der Staat muss es auch tun. Das überfordert uns, wenn wir das ganz alleine machen. Und der zweite Punkt ist natürlich, wir haben auch die Sicherung der Kaufkraft. Das ist das, was noch die Wirtschaft stabilisieren würde. Wenn wir jetzt aufs Stichwort Abwärtsspirale auch wieder von eben kommen, wenn die Menschen nicht mehr konsumieren, dann wird die Wirtschaft erst recht in die Restriktion kommen oder noch tiefer oder noch länger. Deswegen müssen wir das Einkommen der Beschäftigten stabilisieren. Wenn es da eine Klarheit gibt, dass wir auf dem Weg nach vorne raus eine Lösung kriegen, dann bekommen wir auch das, was die Arbeitgeber immer einfordern. Was passiert denn jetzt mit Firmen, die sich das wirklich nicht leisten können? Naja, da haben wir in der IG Metall Tarifverträge, die klar regeln. Ein Betrieb, der sagt, ich habe wirtschaftliche Schwierigkeiten, der kann einen Antrag stellen, aber dann muss er auch die Bücher aufmachen. Dann muss er auch sagen, okay, ich lasse mal einen Berater reingucken, ich stimme mit meinen Beschäftigten das ab. Und dann haben wir einen Prozess dahinter, weil man muss ja auch die Kollegen mitnehmen.
Ich vergleiche das immer mit einer Bank. Also viele, die ich kenne, ich kenne auch Einzelne, bei denen das nicht funktioniert, aber viele, die können ihren Dispo-Kredit einfach online, da sagen die, ich brauche mal für einen Monat länger, dann kriegen sie eben da 2000 Euro mehr und danach melden sie das wieder ab. Da gibt es keine Beratung mit der Bank, da sagt keiner, kommen Sie mal vorbei, ich würde gerne mal sehen, sondern da ist man sozusagen geführt in der Bank und dann entscheidet der Computer das. Wenn ich aber sage, ich bräuchte jetzt irgendwie mal 200.000, 300.000 Euro, weil ich habe da irgendwo einen Anbau an meinem Haus fertig, dann wird doch jede Bank sagen, das entscheidet nicht mehr der Computer, sondern kommen Sie mal vorbei, ich hätte gern dies, das und jenes als Information und als Sicherheit. Das, finde ich, kann man doch auch von den Arbeitgebern verlangen, dass wenn sie wirklich von den Beschäftigten einen Beitrag für die Zukunft brauchen, das darlegen, dass man dann eben auch in die Bücher guckt und dass dann die Beschäftigten eben auch mitentscheiden, ob das wirklich nötig ist. Das machen wir in vielen Betrieben. Ich selber arbeite seit 20 Jahren hier in der Bezirksleitung und habe etliche Verhandlungen dazu geführt. Aber wenn da weiter die Meinung ist, der König entscheidet alleine, ob die Beschäftigten was kriegen oder nicht, dann kann das keine Lösung sein.
Marco Nörenberg:
Ja, der König rechnet sich in solchen Momenten natürlich immer erst mal arm.
Daniel Friedrich:
Ja, das ist eben auch das Problem mit so einem Automatismus. Arbeitgeber stellen sich ja vor, so nach dem Motto, wir schreiben eine wirtschaftliche Kennzahl auf und wenn die gerissen wird, dann muss Folgendes nicht gezahlt werden. Erstens wissen wir aus der Erfahrung, dass legal heute Buchhaltung das hergibt, dass sich natürlich sozusagen gestalten lässt und gar nicht bösartig, sondern vielleicht muss ich das auch machen wegen den Banken, aber mal ein ganz anderes Thema. Ich kann vor
zwölf Monaten, bei der heutigen Autosituation gar nicht unwahrscheinlich, kann ja sein, dass ich vor zwölf Monaten als Geschäftsführung entschieden habe, die Leitenden kriegen alle neue Autos und die können auch 20, 30 Prozent günstiger sein als die, die ich heute habe. Ich sage dir, in dem Moment, wenn der Arbeitgeber sagt, ich schiebe die Tariferhöhung oder ich kürze euch Folgendes und dann kommen in dem Monat die Autos, die günstiger sind, wird trotzdem 80 Prozent der Mannschaft sagen, guck mal, mit unserem Verzicht haben wir jetzt die neuen Autos bezahlt. Weil es einfach keinen Dialog gibt, die Leute nicht mitgenommen werden. Dann passiert genau das, was Firmen ja eigentlich nicht wollen, dass Kolleginnen und Kollegen nicht mehr an ihre Führungskräfte glauben, dass die Stimmung sozusagen im Keller ist. Wir wollen da die Augen nicht vor verschließen, es gibt auch Situationen von Betrieben, wo man auch gemeinsam Lösungen finden muss, würde ich mir anders wünschen, aber die Realität ist so, dass sie es ist. Aber dann braucht man einen guten Prozess, dann muss man die Menschen beteiligen, dann müssen sie mitentscheiden können und dann brauchen sie auch die Informationen, die wichtig sind. Wie gesagt, in Großbetrieben ist das meistens gar nicht das Thema, mit Wirtschaftsausschuss oder Aktien und Börse und so, aber gerade in den familiengeführten Unternehmen gibt es ja teilweise noch nicht mal die Informationen auf Betriebsversammlungen, wie die wirtschaftliche Situation ist, aber trotzdem sollen die Leute dann verzichten. Ne, das passt nicht.
Marco Nörenberg:
Ne, das passt nicht. Ich glaube auch tatsächlich, wenn es mal wirklich eine enge Situation ist, dann sind die Beschäftigten ja auch bereit, im Grunde genommen ihren Beitrag zu leisten, um das Unternehmen am Laufen zu halten. Das haben sie ja auch in der Vergangenheit oft genug bewiesen. Aber allein die Behauptungen ohne Einbeziehung von Gewerkschaften und Betriebsrädern alleine kann es ja dann ja auch nicht sein. Dann rechnet man sich arm und hat dann trotzdem noch die Gewinne. So kann es am Ende ja auch nicht laufen. Also toi, toi, toi, lieber Daniel, was die Tarifverhandlungen angeht. Vielleicht auch mal verbunden mit dem Hinweis, es ist wichtig für viele, viele Branchen, was ihr da gerade treibt, denn da schaut natürlich alles jetzt auf das Ergebnis und das wird natürlich auch eine Benchmark für andere Branchen. Von daher drücke ich doppelt und dreifach die Daumen. Tarifverhandlungen sind vielleicht auch ein gutes Stichwort zu einem nächsten Thema. Die werden ja gar nicht überall geführt, weil sich manche Arbeitgeber dem entziehen und ich habe auf eurer Website gesehen, dass ihr ein besonderes Thema habt bei dem Unternehmen Vestas. Das ist ein Windradbauer und das finde ich insoweit besonders interessant, dass es hier um eine von allen gewollte Zukunftsbranche geht. Mit ihrer Technologie, also Windparks, Offshore und diese Windräder. Da ist es aus meiner Sicht total gegen die Intuition, dass man gerade in einem so einem Bereich, wo alle jetzt hinterher sind, dass es gut läuft und wächst und so, dass da Tarifflucht besteht. Was ist da eigentlich los in dem Bereich?
Daniel Friedrich:
Ne, man muss leider zur Kenntnis nehmen, dass die Windkrafthersteller, also die Vestas, Nordex, Enercons und wie sie alle hießen, bisher nie tarifgebunden waren und teilweise, ich gucke nur auf die Geschichte von Enercon, ja auch richtig Mitbestimmung bekämpft haben. Also auch Betriebsräte zum Beispiel. Wir haben natürlich auch einen Punkt, da kann man sich selbstkritisch auch nochmal hinterfragen, an welcher Stelle hätten wir damals vielleicht auch tarifpolitisch andere Wege gehen müssen, eine Heranführung machen können oder oder. Aber es ist jetzt wie es ist und das, was du sagst, ist das, was einen ja auch so ein bisschen beschäftigt, nach dem Motto, das ist ja eigentlich jemand, der die Welt besser machen will, weil wir wissen alle, der Klimawandel erfordert das. Gleichzeitig verweigert er sich das, was in unserem System normal ist, nämlich, dass die Bedingungen über Tarifverträge geregelt werden. Wir sind so weit, dass wir sagen, das können wir
so nicht akzeptieren. Wir erwarten natürlich auch von Politik, dass die auch Rahmenbedingungen schaffen, dass da, wo Tarifverträge gelten, auch Stichwort Ausschreibung oder ähnliches, dass die nicht durch Tarifvertrags-Geltung dann in Nachteile sind, weil aus dem Ausland sozusagen das billige Windrad dann reinkommt. Dann muss man das über Ausschreibungsbedingungen etc. sozusagen absichern oder mit absichern. Aber der Punkt ist ganz klar, das ist eine Branche, die hat Zukunft. Wenn man wirklich das grüne Jobwunder will, dann geht das nur mit Fachkräften. Fachkräfte wollen vernünftige Arbeitsbedingungen, die sind im besten Fall tarifvertraglich geregelt. Und unser System der Tarifautonomie setzt ja auch darauf an, dass wir die Sachen selber regeln. Von daher bin ich froh, dass die Beschäftigten sich da organisiert haben. Und wir sind da bereit, auch wirklich jetzt die Eskalation dann auch durchzuführen.
Das wird jetzt bis Ende des Monats klar. Entweder gibt es da wirklich mal einen Turnaround, gerade unter den Aspekten, die wir gesagt haben. Also die finden ja auch keine Leute. Da gehen ja auch die Beschäftigten weg, weil sie einfach sagen, bei den Arbeitszeiten. Und es geht nicht nur um Geld, es geht auch um Geld. Aber es geht zum Beispiel auch um Arbeitszeiten, wo du sagst, ich muss da flexibel draußen sein, aber wie lange kann ich das denn eigentlich machen? Das ist als Mitte-30-Jähriger, 40-Jähriger eine andere Belastung, als wenn ich 50 auf die 60 zugehe. Stichwort Altersarbeitszeit. Wir haben andere Bereiche, wenn Offshore-Arbeitszeiten sind, wo du sagst, ich gehe irgendwie 24, 14 Tage raus aufs Schiff und lebe quasi auf dem Wasser und bin von morgens bis abends am Arbeiten. Ob das jetzt ein Arbeitszeitmodell der Zukunft ist, wenn Leute sagen, mir ist auch wichtig, nicht nur Geld zu verdienen, sondern auch Familienleben zu haben. Und was passiert eigentlich? Ich verdiene viel Geld, das wissen wir ja, viele Monteure verdienen viel Geld durch die Zulagen, die sie kriegen und weil sie in der Zeit wenig ausgeben. Aber was ist denn zum Beispiel, wenn ich Urlaub habe oder wenn ich krank bin oder Schichten ausfallen? Geht sowas mit in meine Durchschnittsberechnung oder bin ich dann auf meinem nackten Entgelt? Und das sind Sachen, da sind die tarifvertraglichen Regelungen schon die, die auch da die Benchmark sind und da haben die Kollegen nicht nur bei Vestas, sondern auch in anderen Bereichen einen Anspruch formuliert, den wir jetzt gerne aufnehmen.
Marco Nörenberg:
Ich glaube tatsächlich, auch das ist nicht nur singulär für euren Bereich, sondern auch das bekomme ich aus anderen Branchen durchaus mit. Dieser Fachkräftemangel, der hängt unmittelbar zusammen, in vielen Branchen jedenfalls, mit der Frage der Arbeits- und Einkommensbedingungen. Auch da ist das Thema, wer sich aus Tarifverträgen rausstiehlt und mit Betriebsräten unpartnerschaftlich zusammenarbeitet, dem fällt sowas dann irgendwann auch vor die Füße. Ich finde das auch geradezu grotesk, wenn staatliche Aufträge vergeben werden. Ich komme gleich zu dem nächsten Thema hier beispielsweise bei der Rüstungsindustrie, aber wenn staatliche Aufträge vergeben werden und das praktisch Lohndumping über den Staat dadurch zustande kommt, dass man das an tarifungebundene Unternehmen vergibt, das kann ja im Zusammenhang mit diesem Fachkräftemangel hierzulande nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Also auch von daher, toi, toi, toi was diese Geschichte angeht.
Letzte Frage an dich, lieber Daniel. Die aktuelle Inflation und die Energiekrise, das hatten wir ja gerade bei Tarifverhandlungen diskutiert, sind für uns Verbraucher alle hart, aber ihr habt im Grunde genommen auch Chancen für die Beschäftigten in eurem Organisationsbereich, der IG Metall Küste. Etwa der Ausbau der Offshore-Energie, die Umstellung auf klimaschonende Antriebe in der Seeschifffahrt oder auch die Modernisierung der Marine im Rahmen dieses 100 Milliarden Euro Rüstungsprogramms der Bundesregierung. Wie siehst du eigentlich im groben Überblick die
Attraktivität und Zukunftssicherheit der Arbeitsplätze an den Werften und in eurem Organisationsbereich insgesamt?
Daniel Friedrich:
Insgesamt kann man sagen, dass der Norden von der Energiewende profitieren wird. Wir haben die Erfahrung, wir haben auch zum großen Teil die Firmen, wenn wir auf Onshore, Offshore gucken und für Offshore reicht eben der Bodensee nicht. Das muss man auch deutlich sagen, da brauchst du schon eben auch die Hochsee, Nordsee, Ostsee. Also von daher haben wir die Energie, die Netze nach Süddeutschland sind eher schwierig und von daher haben wir schon auch Entwicklungen, wo man sagt, okay, wir stellen fest, dass auch Firmen sagen, ich gehe da hin, wo die Energie in der Zukunft sozusagen sicherer ist. Von daher können wir da, glaube ich, noch nicht vom goldenen Norden reden, aber wir haben ja wenig Industrie in manchen Bereichen des Nordens. Das wird, glaube ich, stabilisiert und baut sich auch zum Teil aus.
In der Frage Schiffbau, das ist mir vielleicht nochmal wichtig, auch Werften, da geht es jetzt nicht um Tradition. Also es geht jetzt nicht um, dass den Kolleginnen und Kollegen das Herz aufgeht, wenn sie irgendwie einen Stapellauf sehen oder mal so eine Werft sehen, wie groß die ist oder ein Kreuzfahrtschiff dann über die Ems ausgeführt wird. Das ist auch alles richtig und es geht auch um die Frage, haben unsere knapp 16.000 Beschäftigten plus die Zulieferer eine Perspektive? Aber es geht auch nochmal viel mehr, ob Deutschland und auch Europa, ich würde es nicht nur deutsch sehen, sondern auch europäisch, ob die weiter die Kenntnisse und Fertigkeiten haben, an diesem globalen Handel teilnehmen zu können. Wir haben die Gefahr, wir sehen das ja jetzt gerade mit vielen Schmerzen, die Abhängigkeit von Energie, billiger Energie aus Russland und faktisch laufen wir auch bei der Frage globalen Handel auf eine Abhängigkeit von Asien, maßgeblich von China. Die haben das als eine ihrer Schlüsselindustrien entdeckt, die investieren und subventionieren die Werften in Asien, weil sie wissen, wenn wir die Kenntnisse und Fertigkeiten haben, die Schiffe zu bauen und gleichzeitig China ja auch sich sehr strategisch in die Häfen einkauft.
Also wir haben ja die Diskussion in Hamburg über Beteiligungen, aber wir haben sie auch in vielen anderen europäischen Großhäfen, wo China schon eigene Terminals hat. Das heißt, wir laufen wirklich auf so eine Abhängigkeit heraus, dass China am Ende des Tages entscheiden kann, wenn das so weitergeht, wer überhaupt Schiffe zur Verfügung bekommt, um am Welthandel teilzunehmen und im besten Fall, dass diese Schiffe aus Asien immer sozusagen prioritär vor Ort in den Häfen behandelt werden. Deswegen kriegst du den Übergang. Also es geht nicht um Tradition, sondern es geht um Zukunftsfähigkeit, Verhinderung von Abhängigkeit und deswegen wirst du auch als Politiker dich entscheiden müssen, wie du industriepolitisch da aktiv wirst.
Du sprachst von Offshore. Wir haben da ein Zukunftsfeld zugegeben. Das wird auch in der Wertschöpfung erst in zwei, drei Jahren wirklich anlaufen. Aber es gibt in ganz Europa eine Werft zurzeit, die überhaupt diese Plattformen draußen bauen kann. Also da, wo das vor Ort zusammenläuft und dann gebündelt der Strom weitergegeben wird. Gerade in der Ostsee mit der Insolvenz der MV-Werften ist es nicht dazu gekommen, dass wir da zum Beispiel jetzt eine Offshore Werft haben. Da sind wir hart dran. Da kämpfen wir auch gemeinsam auch mit den Herstellern, dass das irgendwie funktioniert. Deswegen hast du natürlich bei manchen Bereichen, wenn jetzt auch heute nicht die richtigen Weichenstellungen von Politik gemacht werden und wir auch zu so einer Local Content, also dass Inhalte auch in Deutschland oder in Europa bearbeitet werden, müssen schon in der Ausschreibung, dann kommen wir wirklich dazu, dass die Wertschöpfung woanders hinläuft.
Mal ein Beispiel, ich will es jetzt nicht zu lang machen, aber in Frankreich, ich meine es ist auch Europa, die haben eine Plattform aufgegeben, die nicht mehr verankert wird, sondern die schwimmt, also eine Floating. Da ist der Auftraggeber sehr stolz, wie in Lyon, wie viel Handwerkerjobs dadurch sozusagen gesichert werden, wie Forschung und Entwicklung gemacht werden, wie Wertschöpfung vor Ort in der Region gehalten wird. Nur in Deutschland sagen wir, der Billigste muss es kriegen und der Rest ist uns egal. Wie gesagt, mir geht es nicht darum, dass wir subventionieren, sondern es geht darum, strategisch die Fähigkeiten zu halten, das selber auch gestalten zu können. Das kann man nicht überall machen, aber gerade in den Zukunftsfeldern sollte man das auf jeden Fall machen.
Marco Nörenberg:
Wir haben es jetzt auch zweimal aufs Brot geschmiert bekommen. Einmal bei Corona, als es darum ging, dass auch bestimmte Schlüsselfunktionen für die Wirtschaft alle ins Ausland ausgelagert gewesen sind. Und jetzt im Zusammenhang mit diesem russischen Angriffskrieg in der Ukraine sehen wir es auch. Also wenn man sich abhängig von anderen macht, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn es irgendwo eskaliert und man auf einmal den Mangel da hat. Von daher finde ich das total wichtig, eure Kämpfe, da muss man ja wirklich sagen und eure Auseinandersetzung. Da kann ich nur die Daumen drücken. Daniel, wir sind am Ende des Gesprächs angekommen. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast bei deinem pickepackevollen Terminkalender. Tarifverhandlungen, Kämpfe und auch diese ganzen Zukunftsgespräche, finde ich total klasse. Vielleicht an die Betriebsräte an der Stelle den Appell nicht nur im Metallbereich, sondern generell den wertvollen Beitrag, den die Gewerkschaften für die Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen leisten, hier auch wirklich stärker zu honorieren. Gerade diese Zeiten von Umbrüchen und Transformationsprozesse, das muss für uns Arbeitnehmervertreter auch eine Zeit der Solidarisierung und des Miteinanders sein. Daher meine Bitte, unterstützt eure Gewerkschaften durch eigene Mitgliedschaft vor allem natürlich, aber auch Werbung im Kollegenkreis und eine enge Zusammenarbeit. Daniel, vielen, vielen Dank für das Gespräch. Euch allen vielen Dank fürs Zuschauen und Zuhören und bis zum nächsten Mal. Auf Wiedersehen. Mach's gut, Daniel.
Daniel Friedrich:
Tschüss, bleibt fröhlich.
Marco Nörenberg:
Danke schön. Tschüss.
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