
Marco Nörenberg:
Ja hallo liebe Kolleginnen und Kollegen, da sind wir wieder mit dem 360° BR Podcast im Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Däubler. Das war toll, das Gespräch. Kann ich euch nur sagen, wirklich was ganz Besonderes. Prof. Dr. Däubler hat ja nicht nur im ersten Teil des Interviews seiner fachlichen Expertise Ausdruck verliehen, sondern darüber hinaus auch noch den ein oder anderen Schwank oder persönliche Sichtweise, die er hat auf das arbeitsrechtliche Geschehen in Deutschland, zum Besten gegeben. Ich kann euch sagen, der zweite Teil des Interviews wird nicht minder interessant, wird nicht minder spannend und auch nicht minder voll interessanter Einblicke in die Arbeitsrechtswissenschaft in Deutschland. Ich freue mich darauf und ich freue mich auch darüber, dass ihr hier in der Leitung seid.
Wir waren gerade bei dem Thema der Betriebsrat, der jetzt verhandelt und der Arbeitgeber sagt, sollen die Leute doch in den Betrieb kommen.
Prof. Dr. Däubler:
Ja, aber das ist ein Risiko, dass sie dann wirklich alle in den Betrieb kommen. Dann funktioniert so ein Desksharing-Modell nicht mehr. Da muss man bloß auch Bewusstsein schaffen. Die Beschäftigten betrachten das Homeoffice so sehr als Gefälligkeit des Arbeitgebers, dass sie gar nicht das Bewusstsein entwickeln, dass man da eigentlich selber was aufopfert und dafür Geld kriegen sollte. Das es außerdem auch politisch einen vernünftigen Sinn gibt. Aber das ist übrigens auch eine der Kritikpunkte an den Gewerkschaften, dass sie auf solche Dinge im Prinzip nicht kommen, sondern das halt so laufen lassen. Wenn die Beschäftigten das so meinen, dann ist das so. Da muss man halt so aktiv ein wenig Aufklärungsarbeit machen und das ist eben überhaupt nicht der Fall. Wenn Sie mal vergleichen, wie die Gewerkschaft das vor 30, 40 Jahren, ich kann sowas ja vergleichen, also gehandhabt hat und wie sie es heute handhabt, das ist ein riesen Unterschied.
Marco Nörenberg:
Ja, auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, zumindest sagen mir das auch die Betriebsräte, die Belegschaft, die sitzt denen selbst auch im Genick. Die sagt, stell bloß nicht solche hohen Forderungen, dass mir die Möglichkeit zum Homeoffice genommen wird. Also das ist so ein Grenzritt. Also auf der einen Seite kann man viel durchsetzen. Man hat ja tatsächlich auch sogar richtig knackharte Mitbestimmungsrechte in der Frage. Auf der anderen Seite wollen die Beschäftigten gerne flexible Lösungen. Wenn man da zu hoch die Hürden aufbaut und das womöglich scheitert vor solchen Hintergründen, dann braucht man auch ein schnelles Pferd als Betriebsrat. Also es ist zweischneidig.
Prof. Dr. Däubler:
Ja, das ist schon klar. Also es bedingt sich. Das ist ja auch nicht nur so, dass gewissermaßen die Beschäftigten nun ein Bewusstsein hätten, was sie für Möglichkeiten und Rechte hinten haben, sondern da ist nichts da und auf der anderen Seite der Gewerkschaft ist auch nichts da. Da passiert nichts. Ja, da haben Sie recht. Das ist die Schwierigkeit. Also es gibt viele Fragen bis hin zur Tarifeinheit, wo im Prinzip sich die Diskussion immer mehr wegverlagert hat, und das was wirklich läuft, wegverlagert von der Gewerkschaft auf die Betriebsräte und ihre Berater. Also wenn es Konflikte gibt.
Ich hatte diesen Beratungsfall in der IT-Firma. Da ging es um zwei Wellen des
Personalabbaus, jeweils von 2000 ausgerechnet ungefähr 400 Leute. Die allermeisten sind freiwillig ausgeschieden mit noch sehr guten Abfindungen. Die meisten waren 25 Jahre da und wir hatten also eine Formel, dass man so typischerweise auf 150.000 bis 200.000 kam. Die haben das also auch geschluckt. Das war also nicht das Problem. Die, die gekündigt wurden, die haben dann noch ein bisschen mehr gekriegt. Da gab es dann noch einen Härtefonds für diejenigen, die nicht gleich wieder einen Job gefunden haben. Da haben wir also einen Härtefonds gemacht mit ungefähr einer Million. Da kam für die, die also, sagen wir mal, alleinerziehend waren und nicht gleich wieder einen Job gefunden haben, im Schnitt nochmal 70.000 dazu. Das ist dann ganz schön. Also da gab es keine Verärgerung über den Verlust des Arbeitsplatzes.
Das ist trotzdem ein Problem, wenn man dann gleich was Neues hat und so. Aber das haben wir gemacht. Nur die Gewerkschaft war bei der ganzen Sache überhaupt nicht beteiligt. Man hat einen Organisationsgrad bei der Firma vielleicht von 0,1%. Ich hatte zu den Kollegen im Betriebsrat und so eigentlich ein sehr gutes Verhältnis und habe die auch mal gefragt, warum sind eigentlich nicht mehr Leute in der Gewerkschaft. Ja, also die IG Metall, die da zuständig wäre für die IT, die hat Tarifverträge, da ist die höchste Tarifgruppe, ungefähr ein Tausender unter unserem normalen Gehälter. Also warum sollen wir da in die Gewerkschaft beitreten? Also irgendwie einsichtig. Es gab ein paar, die da im Betriebsrat waren, die habe ich dann rausgekriegt nach einem Jahr oder so. Ach, der ist ja in der IG Metall. Wir hatten dann bei unseren Beratungen auch immer einen IG Metall Vertreter dabei. Das haben wir schon gemacht, also das war keine Gewerkschaftsfeindlichkeit. Aber es ist, sagen wir mal, die Gewerkschaft ist schlicht unbedeutend. Also das in der Wahrnehmung der Kollegen und Kolleginnen, da erwartet man nicht, dass irgendetwas kommt, was einen weiterbringt. Das ist eigentlich der entscheidende Punkt.
Das ist auch der Unterschied zu früher. In den 70er Jahren hatte man immer den Eindruck, das, was die Gewerkschaft in Schulung oder sonst wo bringt, das bekräftigt mich zumindest in meinen politischen Überzeugungen und außerdem lerne ich da und dort was. Heute gibt es die politischen Überzeugungen nicht mehr und lernen tue ich viel besser beim IFB oder bei irgendeinem Rechtsanwalt oder bei anderen Leuten. Also ein guter Betriebsrat umgibt sich mit einer Reihe von Experten vom Rechtsanwalt bis zum Arbeitswissenschaftler, Arbeitsmediziner und so weiter. Kennt die, wenn er sie braucht, dann werden die geholt und so fort. Also die Gewerkschaft hat unheimlich viel verloren an Sachkompetenz in der Wahrnehmung der Kollegen.
Also es ist nicht bloß ein Problem der Mitgliederzahl. Das ist gar nicht so gravierend. Sondern es ist ein Problem der verlorenen Sachkompetenz. Es gibt halt sehr viel mehr informierte, kluge Betriebsratsmitglieder als informierte und kluge hauptamtliche Gewerkschaftsvertreter. Ich rede jetzt von DGB-Gewerkschaft. Ja, ich verstehe schon. Also das ist klar, das setzt sich dann übrigens auch durch in solchen aparten Geschichten wie hier in unserem Ding. Die Betriebsräte, die relativ stark sind, haben die vollen digitalen Rechte mit ihrer Homepage, die sie machen können und Kommunikation im Betrieb und so weiter. Es geht alles auch ein bisschen zufällig, wegen Schlecker und so fort. Aber sie haben es. Die Gewerkschaft hat es nicht, die kann keine Homepage machen.
Marco Nörenberg:
Da würde ich gerne direkt mal einhaken, wenn ich darf. Die Gewerkschaften haben ja vor dieser ganzen Digitalisierung, wo die Arbeitgeber noch reserviert waren und nicht so auf Homeoffice eingestiegen sind, da haben die Gewerkschaften ja beispielsweise Flugblätter vor der Tür verteilt oder auf Betriebsversammlungen Material verteilt und all diese Sachen. Das fällt ja jetzt eigentlich weg. Wenn nur noch jeder Dritte oder Vierte zur Arbeit kommt, dann kannst du natürlich kaum noch Flugblätter erfolgreich verteilen. Die Gewerkschaften sind ja anders als die Betriebsräte darauf angewiesen, dass sie E-Mail-Adressen beispielsweise bekommen oder einen Zugang zum Intranet
vom Arbeitgeber bekommen. Wie ist denn eigentlich in dieser Frage die Rechtslage, was die digitalen Zutrittsrechte der Gewerkschaft in den Betrieb angeht?
Prof. Dr. Däubler:
Also wir haben bisher keine Entscheidung, wo gesagt würde, der Arbeitgeber muss der Gewerkschaft eine E-Mail-Liste der Beschäftigten rausgeben. Das ist bisher noch nicht entschieden. Das lässt sich natürlich durchaus begründen, indem man also sagt, es gibt ein Zugangsrecht der Gewerkschaft. Das ist ein Betätigungsrecht nach Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz. Wenn dieses Zugangsrecht, was ja ein Recht zur Ermöglichung von Kommunikation ist, wenn das nicht mehr funktioniert, wenn die Leute nämlich nicht mehr in der räumlichen Einheit Betrieb sind, dann muss man eben andere Formen finden. Die andere Form ist das E-Mail. Das E-Mail ist also vergleichbar. Da kann man ja auch Anhängen wie Plakate und ähnliches oder Flugblätter, sowas kann man anhängen. Das ist durchaus vergleichbar. Also müsste man aus 9 Absatz 3 ein solches Recht ableiten. Mach ich der Sache nach auch in meinem kleinen Büchle. 80 Seiten, kleines Büchle. Also schon, aber das ist nicht anerkannt. Sie müssen natürlich sehen, die Arbeitsgerichte sind durchaus bereit, betriebsratsfreundliche Entscheidungen zu treffen. Aber es ist viel schwieriger gewerkschaftsfreundliche Entscheidungen zu erreichen. Also ich habe in dieser kleinen Studie ja auch mal die Entwicklung von 9 Absatz 3 geschildert. Da gibt es ja eine ganz maßgebende Weichestellung aus dem Jahr 1995, wo das Bundesverfassungsgericht die Kernbereichslehre aufgegeben hat. Das war natürlich, wenn man so will, eine Stirnstunde. Aber es hat dann sieben Jahre gebraucht, bis das BAG überhaupt mal einen Fall gekriegt hat, wo sie diese Sachen von Karlsruhe mal anwenden konnten. Was also zeigt, wie gering gewissermaßen das Tätigkeitsniveau der Gewerkschaften in den Betrieben ist.
Marco Nörenberg:
Das müsste ja jetzt auch so laufen, dass eine Gewerkschaft klagt auf Herausgabe, meinetwegen der E-Mail-Adressen oder auf dem Platz im Internet.
Prof. Dr. Däubler:
Ja, aber das ist natürlich, wenn sie ein negatives Urteil sich einfangen, dann ist das übel. Dann ist das gewissermaßen erstmal für die nächsten 5 bis 10 Jahre festzementiert. Dann könnte es nach Karlsruhe gehen, vielleicht sieht es Karlsruhe anders, aber in der Regel lässt Karlsruhe die Arbeitsgerichte in Ruhe. Wenn die Arbeitsgerichte sagen würden, da gibt es keinen Anspruch, dass man das bekommt, dann weiß ich nicht, ob sie das korrigieren würden, weil sie typischerweise nicht korrigieren im Bereich der Arbeitsbeziehung.
Marco Nörenberg:
Also abstrakt haben die Gewerkschaften das Recht, durchsetzen ist schwierig.
Prof. Dr. Däubler:
Ja, aber so unfair, so läuft es dann. Man findet dann irgendeine Ausflucht. Sie haben ja die unterschiedlichsten Regelungen, wo Sie eigentlich immer gesagt haben, das, wie es sich entwickelt hat, das lassen wir als noch verfassungskonform sein. Also nehmen Sie den alten 116 AFG, also kein Kurzarbeitergeld bei Arbeitskämpfen. Was heute 160 SGB III ist. Da haben Sie gesagt, das ist gerade noch so verfassungskonform. Das kann man also machen. Das haben Sie gebilligt. Sie haben auf der anderen Seite zum Beispiel die Flashmob-Entscheidung des BAG gebilligt. Dass man so sagt, man macht einen Flashmob und der Rewe-Laden wird für 2 Stunden funktionsunfähig gemacht, weil die Leute alle möglichen Sachen in ihren Trollys packen und dann stehen lassen. Das
ist auch eine Kampfmaßnahme. Das wird also von der Handlungsfreiheit der Gewerkschaften gedeckt, wenn es gewerkschaftlich ist. Das haben Sie auch akzeptiert. Also das zeigt, dass die Haltung in Karlsruhe sauber mal eine relativ neutrale ist gegenüber dem, was sich da im Arbeitsleben so herausbildet.
Marco Nörenberg:
Ich würde noch mal eine Frage stellen zu den Rechten des Betriebsrats. Es ist ja so beispielsweise bei Betriebsversammlungen. Viele haben jetzt in der Corona-Zeit digitale Betriebsversammlungen gemacht. Da waren dann irgendwelche technischen Lösungen eingekauft worden. Irgendwelche technischen Operator, die dann da die Mischpulte bedient haben. Was kann eigentlich der Betriebsrat hier an Equipment, an Aufschlauung, an Qualifikation? Worauf hat er eigentlich in diesem Zusammenhang einen eigenen Anspruch? Ich weiß, viele Betriebsräte wollen jetzt auch künftig, weil viele im Homeoffice sind, mindestens mal solche hybriden Betriebsversammlungen machen. Wo dann also eine Kamera steht und das in die Arbeitsplätze zu Hause übertragen werden kann. Da brauchst du jemanden, der sich mit der Technik auskennt. Da musst du erstmal diese ganzen Tools auch einsetzen können. Das heißt, die Betriebsräte müssen da vielleicht qualifiziert werden. Was steht denn den Betriebsräten zu?
Prof. Dr. Däubler:
Zunächst mal steht ihnen die Technik zu, die sie für die Ausübung ihrer Funktion brauchen.
Sie haben ja nach § 30 Betriebsverfassungsgesetz, Neuerfassung, ja das Recht, digitale Sitzungen zu machen, wenn ihre Geschäftsordnung das vorsieht. Also muss man ihnen die Technik zur Verfügung stellen, dass sie digitale Sitzungen abhalten. Wie oft sie dann die Technik benutzen, ist eine sekundäre Frage. Aber jedenfalls die Technik als solche muss ihnen zur Verfügung gestellt werden. Soweit es notwendig ist, muss man ihnen auch die Möglichkeit geben, dass einer kommt, der ihnen das im Einzelnen erklärt. Dass sie ein bisschen sinnvoller damit umgehen können. Das heißt also auch die Moderatorenfunktion. Also diese ganzen Geschichten, die man insbesondere als älterer Mensch, der kein Digital Native ist, erstmal lernen muss. Das ist klar. Also das kriegt man in Bezug auf die Funktion, die man hat. Damit man die ausfüllen kann. Nun gibt es aber nach der dauerhaften Regelung ja keine digitalen oder hybriden Betriebsversammlungen mehr.
Das war jetzt wieder für ein halbes Jahr eingeführt, so bis März. Das ist aber jetzt ausgelaufen und es ist nicht erneuert. Sie können also Einigungsstellen und Betriebsversammlungen nicht mehr digital machen. Ich habe mal eine Anfrage gekriegt, das war kurz vor Auslaufen der alten Regelung und dem Inkrafttreten des Betriebsräte-Modernisierungsgesetzes. Es war so, das war der 1. Juli, der Stichtag. Es hatte jemand schon eine hybride Betriebsversammlung geplant für den 10. Juli. Und wollte dann wissen, darf ich das eigentlich noch? Dann haben sie gesagt, ne, die dürfen das nicht mehr, das ist nicht mehr vorgesehen. Aber wenn sie es trotzdem machen, passiert nichts.
Marco Nörenberg:
Das wäre genau der Punkt. Ich bin mir ziemlich sicher, auslaufende Regel hin oder her, viele Betriebsräte machen hybride Betriebsversammlungen auch in Zukunft.
Prof. Dr. Däubler:
Ja, also für hybride Betriebsversammlungen. Sprich, die verbreitete Botschaft, dass sehr viel mehr Leute an der Betriebsversammlung teilnehmen, als in der traditionellen Form. Also die Leute, die an der Werkbank stehen, die kommen sowieso. Arbeiter im traditionellen Sinn. Die Angestellten da, die erscheinen eher weniger. Die erreichen sie aber unter Umständen, wenn die vom Schreibtisch aus sich zuschalten können, erreichen sie die viel eher. Also das ist eine verbreitete, natürlich nicht
empirisch wirklich belegte, aber eine verbreitete Einschätzung. Man kommt an mehr Leute ran, wenn man es hybrid macht. Ich habe dann dem Anfrager gesagt, jetzt überlegen Sie sich mal, was kann passieren. Man kann sagen, das sei eine schwere Pflichtverletzung nach § 23 des Betriebsverfassungsgesetzes. Aber da kann man ja einen Antrag stellen auf Amtsenthebung nur als Betriebsrat. Das machen wir nicht. Als Arbeitgeber, das würde er auch nicht machen. Denn der stellt ja die Technik zur Verfügung. Es war in dem Fall abgesprochen, dass es so läuft. Also da würde er sich mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen. Dann kann ein Viertel der Belegschaft auch noch eine Antragstelle auf Amtsenthebung. Also probieren kann man es, weil nämlich effektiv nichts passiert. Das ist sehr unwahrscheinlich. Also wenn natürlich das Verhältnis schlecht ist zum Arbeitgeber, dann können Sie es nicht machen. Also dann Technik hin oder her, dann sagt er sich, das ist eine Möglichkeit, da kann ich ihn endlich mal packen.
Marco Nörenberg:
Ob das am Ende auch schon wirklich in einem Gerichtsverfahren zu einer Amtsenthebung führen würde, ist ja ohnehin noch eine Frage.
Prof. Dr. Däubler:
Das ist eine andere Frage, ja. Das würde ich auch so sehen. Aber man kann zumindest eine Antragstelle, die nicht von vornherein abwegig ist, und dann schafft es Verunsicherung.
Marco Nörenberg:
Aber das ist vielleicht sogar eine ganz gute Überleitung zu meiner letzten auch inhaltlichen Frage. Dieses Thema müsste sich dann eigentlich aus Ihrer Sicht jetzt etwas in der Gesetzgebung oder in der Rechtsprechung verändern, um diesen neueren Entwicklungen jetzt Rechnung zu tragen. Also beispielsweise das Thema digitale Betriebsversammlung, beispielsweise die Klärung digitaler Zugangsrechte für Gewerkschaften. Sehen Sie da Anpassungsbedarf oder ist das eigentlich so, dass man jetzt im Status unterwegs ist, wo man das Handhaben kann?
Prof. Dr. Däubler:
Also da muss man zunächst mal unterscheiden zwischen Betriebsverfassung und dem Recht des Arbeitsrechts. In der Betriebsverfassung würde ich sagen, das Hauptproblem ist, dass wir nur in 9% aller unter das Gesetz fallenden Betriebe überhaupt ein Betriebsrat haben. Vor 20 Jahren hatten wir noch in 12% aller Betriebe, die unter das Gesetz fallen, einen Betriebsrat. Das heißt, man müsste Mechanismen schaffen, um die Gründung von Betriebsräten zu erleichtern.
Da habe ich vor kurzem eine Geschichte mit der Linkspartei gemacht, mit der Frau Förschl. Da habe ich das im Einzelnen erklärt. Also da gibt es die Vorstellung, dass man sagt, man macht es wie in der Personalvertretung. Wenn in der Personalvertretung kein Personalrat existiert, dann muss der Dienststellenleiter einmal im Jahr eine Betriebsversammlung einberufen. Auf dieser Betriebsversammlung muss er im Einzelnen erzählen, was im Personalvertretungsgesetz drinsteht, was man da machen könnte. Dann müssen die Betroffenen entscheiden, ob sie einen Personalrat wollen oder nicht. Sie haben im öffentlichen Dienst eine Repräsentanz von 92% der Beschäftigten. Also 92% aller Beschäftigten haben Betriebsräte. Also betriebliche Interessenvertretungen haben einen Personalrat. Und in der gewerblichen Wirtschaft und bei gemeinnützigen Unternehmen usw. sind es also ganze 40% betriebliche Interessenvertretungen. Aber es ist ein riesiger Unterschied, mehr als das Doppelte im öffentlichen Dienst. Dieses Modell könnte man ja übertragen, indem man also sagt, der Arbeitgeber wird verpflichtet einmal im Jahr. Wenn er es nicht macht, kriegt er ein Bußgeld. Dann wird es natürlich, wenn er es nicht will, in der Weise machen, dass er die Parole ausgibt, da
soll niemand kommen. Da muss er ja nicht das Interessante erzählen. Ja, das ist klar. Also er wird sagen, es kommen nur die Leute, die es nicht wollen, den Betriebsrat leiten die Angestellten und so, die eigentlich gar nichts zu sagen hätten, aber die ja trotzdem irgendwie dann kommen. Also man kann das natürlich unterlaufen. Aber dann für den Fall, dass eine solche jährlich vorgesehene Betriebsversammlung nicht stattfindet, können drei Beschäftigte oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einen Antrag stellen, dass man einen Betriebsrat einsetzt, seitens des Arbeitsgerichts.
Also nicht einen Wahlvorstand, sondern gleich einen Betriebsrat. Vorbild, Aufsichtsrat. Wenn Sie im Unternehmen keinen Aufsichtsrat haben und es wird festgestellt, der §98 Aktiengesetz, das ist ein Betrieb, der fällt unter die Drittelbeteiligung. Der muss einen Aufsichtsrat deshalb haben. Das ist der typische Fall, ein Betrieb mit tausend Leuten und also Drittelbeteiligung. Dann können Sie sagen, okay, es bleibt nicht bei der Feststellung, sondern das Gericht setzt dann gleich zwei Drittel Kapitalvertreter und ein Drittel Arbeitnehmervertreter ein. Wird vom Gericht eingesetzt, so lange bis die Wahlen stattfinden. Was dann bei der Kapitalseite im Zweifel schneller geht als bei den Arbeitnehmern, aber ist ja egal. Das Prinzip ist das gleiche. Was wir hier beim Aufsichtsrat machen, warum sollte man das nicht auch bei der Betriebsverfassung, beim Betriebsrat machen? Der wird dann eingesetzt und hat alle Rechte eines Betriebsrats und muss innerhalb von einem halben Jahr dann die Wahlen einleiten. Der hat also kein Mandat von vier Jahren, sondern der hat ein Mandat von einem halben Jahr oder mehr. In dieser Zeit ist er aber fest im Amt und kann dann die Wahl eines Betriebsrats einleiten.
Hintergedanke. Man muss sich nie bei diesem Modell wirklich exponieren. Das heißt, die Schwierigkeit ist ja, dass die Leute Angst haben. Wenn sie sich exponieren, haben sie Nachteile. Das ist auch nicht bloß eine Frage, dass man vor Kündigung Angst hat. Wir haben mal in einem kleinen Ort kurz vor Hechingen einen recht klugen Metallfabrikanten besucht. Den hat meine Frau im Flugzeug von China zurück mal kennengelernt. Den Herrn Maute. Die Firma heißt auch so. Der hat uns mal seinen Laden gezeigt. Der hatte keinen Betriebsrat, ungefähr 500 Beschäftigte. Das ist natürlich interessant, als Arbeitsrechtler in dieser Rolle da reinzukommen. Der hat uns also empfangen. Das ist ein patenter Typ, kann ich gar nicht anders sagen. Wir sind also dann durch die Fabrik gegangen. Der hat die Leute alle begrüßt. Wusste auch, und das war eigentlich wichtig, das Begrüßen ist nicht so der Punkt. Das kann auch Theater sein. Aber er wusste genau, was der macht. Hat ihn gefragt, wie steht es damit und wie steht es damit. Das ist natürlich irgendwie toll.
Dann hatte er eine Beschwerdestelle. Das war gewissermaßen so eine Art von Betriebsratsersatz. Also wenn es irgendwo ein bisschen Krach gibt, dann kann man an die Beschwerdestelle gehen. Man hat so den Eindruck, wenn man vernünftige Argumente hat, kann man den schon überzeugen. Wenn ich mir vorstelle, da würde sich ein Betriebsrat konstituieren. Der würde die Beteiligten nicht rausschmeißen. Aber er würde sie natürlich auch nicht auf einen interessanten Auslandseinsatz schicken. Davor haben die Leute Angst. Also wir werden nicht mehr befördert. Oder wir kommen nicht mehr in interessante Teile der Arbeit, sondern wir kriegen den letzten Scheiß. Dann bleiben wir sitzen.
Davor hat man Angst. Und nicht unbedingt nur vor so rabiaten Leuten, die von Herrn Klaujoks beraten sind. Die dann also die Initiatoren einer Betriebsratswahl kündigen wollen. Das gibt es auch ohne jeden Zweifel und das ist schlimm. Aber in der Breite sind wahrscheinlich diese Fälle, wie ich sie aus der Gegend von Hechingen genannt habe, die viel typischere. Das heißt, dass ich nicht wirklich befürchten muss, ich werde gekündigt, sondern dass ich befürchten muss, ich mache meine Aufstiegschancen und meine Chancen auf gute Arbeit im Betrieb kaputt. Das schreckt die Leute ab. Also müssen wir ein Verfahren finden, wo sich niemand exponiert. Wo man also Leute hat, die dann schon bereit sind, in den Betriebsrat zu gehen. So viel braucht man als Basis, sonst kann man es bleiben lassen. Die sich dann sagen, okay, wir gehen dieses Risiko ein, weil wir vielleicht keine Chance mehr haben, was zu werden. Oder weil wir es einfach gut finden, im
Betriebsrat zu sein. Dann gehen wir dieses Risiko ein, sind in diesem Amt drin und geschützt. Einen Betriebsrat zu kündigen ist extrem schwierig, wenn er nicht gerade riesige Dummheiten macht. Dann kann er die Wahl einleiten und wieder kandidieren und so fort. Also wenn er es einigermaßen vernünftig macht, dann bleibt er auch im Amt nach der Wahl. Dann können wir sicher sein, ohne dass vorher in einem ungeschützten Zustand sich einer exponieren muss, indem er also zur Versammlung geht, die jetzt gegen den Willen des Arbeitgebers einen Wahlvorstand einsetzt.
Indem er Unterschriften gibt, Stützunterschriften und so weiter. Das ist alles weg. Die Gewerkschaft war dagegen, die DGB-Gewerkschaft, gegen diese Idee. Sie werden fragen, warum.
Marco Nörenberg:
Da gibt es ja jetzt auch, habe ich gehört, am 7. April sollen auch da irgendwelche neuen Vorschläge vom DGB kommen.
Prof. Dr. Däubler:
Die Vorschläge haben eine lächerliche Ähnlichkeit mit dem, was ich Ihnen hier erzähle. Das ist rein zufälliger Natur. Ja, das ist nicht zu überraschen. Da habe ich das nicht durchgekriegt. Der wirkliche Grund ist, dass die Gewerkschaft sagt, Gefahr des Kontrollverlusts. Also sie befürchtet, dass da Betriebsräte entstehen, wenn man das so macht, mit den drei, die zum Arbeitsgericht kommen und so, dass es so und so viele Betriebsräte gibt, die kann man gar nicht mehr betreuen, weil man die Ressourcen nicht hat und so weiter. Die kann man also nicht mehr betreuen und die kann man auch nicht mehr kontrollieren. Da gibt es dann auch arbeitgeberorientierte Gremien, das ist sicher der Fall. Das gibt es ja auch so. Also da war dann im Grunde genommen Skepsis da. Da habe ich es wenigstens noch durchgesetzt, dass das Verfahren als solches, wird es geben, und am Ende, wenn die Versammlung nicht zustande kommt, also wenn der Arbeitgeber es nur pro forma macht, oder wenn man keinen Wahlvorstand wählt, weil er das halt auch nicht will, dass dann die Gewerkschaft wenigstens einen Antrag stellen kann. Auf Einsetzung des Betriebsrats. Auf Einsetzung des Betriebsrats. Sodass man sie unter Umständen, also auch unter moralischen Drucksätze kennt, dass sie sowas macht.
Marco Nörenberg:
Ja, und sie hat dann natürlich auch eine exponierte Position als Schlüssel zu diesem Betriebsratsvorschlag. Ich glaube, das ist tatsächlich eine Frage, die auch so ein bisschen
am Selbstverständnis von Gewerkschaften rührt, die Sie da thematisieren. Ich würde gerne aber noch mal fragen zu diesem Digitalisierungsthema. Ist da die Gesetzgebung hinreichend? Wenn es beispielsweise um digitale Betriebsversammlungen geht, um digitale Zutrittsrechte für Gewerkschaften, ist das soweit okay? Oder sehen Sie da auch Anpassungsbedarfe?
Prof. Dr. Däubler:
Also ich würde sagen, wenn man nur den Betriebsrat betrachtet, ist das geltende Recht soweit okay. Es gibt auch da natürlich noch Zweifelsfragen. Also wenn zum Beispiel der Arbeitgeber jede Woche im betriebsinternen Fernsehen, sowas gibt es ja auch, Erklärungen abgibt, hat dann auch der Betriebsrat dasselbe Recht. Ist nicht geklärt, wissen wir nicht. Also da gibt es schon auch noch weiße Flecken im Bereich des Betriebsrats. Bei der Gewerkschaft ist es so, dass über dieses Recht auf E-Mail-Kontakt raus natürlich alles Weitere im Prinzip fehlt. Das ist in all den Bereichen nicht schlimm, wo der Betriebsrat auf Seiten der Gewerkschaft steht. Da machen wir das mit dem Link und damit ist es in Ordnung. Wo das nicht der Fall ist, wo es keinen Betriebsrat gibt, da wird es schwierig. Da fehlt eben ein Recht der Gewerkschaft, also die nötigen Voraussetzungen zu
bekommen, damit sie die einzelnen Beschäftigten kontaktiert. Das müsste man natürlich auch in der digitalen Form irgendwann mal möglich machen.
Marco Nörenberg:
Wahrscheinlich ist das etwas, was die Gerichte dann schneller entscheiden, als der Gesetzgeber es aufgleist. Oder wie glauben Sie, wird das so laufen? Irgendwann muss sich das ja irgendwie mal herausbilden.
Prof. Dr. Däubler:
Es steht ja im Koalitionsvertrag, dass man ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaft schaffen will. Das haben wir ja so wenig im Arbeitsrecht gemacht in dieser Ampelkoalition, dass sie das Wenige, was sie versprochen haben, da wahrscheinlich dann doch umsetzen. Die Geschichte zum Beispiel, dass die Behinderung der Wahl oder der Betätigung des Betriebsrats ein Amtsdelikt sein soll, das ist auch so eine Sache, die sie wohl machen werden. Wann das kommt, ist eine andere Frage. Das Arbeitsministerium, ich will das jetzt nicht kommentieren, aber sagen wir mal, der Output ist ein bisweilen widersprüchlicher und dilettantischer. Aber es ist also im Moment unklar, wann da irgendwas kommen wird. Sie sind dabei, ihre Arbeitsplanung zu machen. Wir sehen in ein, zwei Monaten da ein bisschen näher, wie der Zeitplan aussieht. Also ich könnte mir schon vorstellen, dass sie da eine Regelung machen. Die Frage ist nur, wie die aussieht. Und das Generelle ist natürlich, dass bei uns im Prinzip, im Arbeitsrecht, die Arbeitsgerichte die wichtigeren Instanzen sind, verglichen mit dem Gesetzgeber.
Marco Nörenberg:
Fast das ganze Thema, worüber wir sprechen, ist ja eher durch Rechtsprechung herausgebildet, als es in den Gesetzen durchstehen würde.
Prof. Dr. Däubler:
Die Rechtsprechung ist natürlich auch in der Lage, mal Dinge zu machen, die sich der Gesetzgeber nie trauen würde. Also nehmen Sie mal den 87.1 Nr. 6 mit den technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, Verhalten und Leistungen des Arbeitnehmers zu überwachen. Daraus hat die Rechtsprechung gemacht, die geeignet sind. Wenn ich mir das heutige Parlament angucke, egal ob Große Koalition oder Ampel, die würden es nie fertig kriegen, das eine Wort zu ändern. Geeignet zu sagen. Nie. Da wäre die FDP oder die CDU dagegen. Das ist ganz klar. Es läuft dann wirklich so wie in der Fleischwirtschaft, wenn also mal ein beträchtlicher Teil der CDU auch dafür ist. Dann läuft es. Aber solange das nicht der Fall ist, geht es nicht. Und die blockieren auch jedes neue Mitbestimmungsrecht.
Marco Nörenberg:
Und die Chancen mit digitalen Betriebsversammlungen, das ist ja jetzt zweimal im Gesetz aufgegleist, aber immer nur befristet. Immer nur befristet. Es ist ausgelaufen.
Prof. Dr. Däubler:
Ich glaube nicht, dass da in absehbarer Zeit eine Gesetzgebung kommt, sondern es wird so laufen, dass da und dort, wo es gut geht, das einfach gemacht wird. Und es passiert nichts.
Marco Nörenberg:
Und dann kommt es irgendwann auch und wird legitimiert wahrscheinlich.
Prof. Dr. Däubler:
Möglicherweise macht man dann irgendwann mal eine Neufassung der Betriebsverfassung und dann wird es legitimiert. Das ist durchaus denkbar. Aber das kann lang dauern. Also bis die sich wirklich mal entscheiden, da an der Betriebsverfassung was zu ändern, dann müssen sie nicht so lange warten.
Marco Nörenberg:
Ich weiß gar nicht, ob das so ein schönes Schlusswort ist, aber auf jeden Fall ist es ein zutreffendes Schlusswort. Insoweit, lieber Herr Prof. Dr. Däubler, vielen, vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Däubler:
Gerne.
Marco Nörenberg:
Das war sehr interessant. Ich kann jetzt noch mal sagen, was ich gleich am Anfang gesagt habe. Es hat sich gelohnt, wie ich hierher ins beschauliche Dörfchen hier nach Baden-Württemberg anzutreten. Dankeschön.
Prof. Dr. Däubler:
Ich bedanke mich bei Ihnen.
Marco Nörenberg:
Hat Spaß gemacht.
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