
Marco Nörenberg:
Wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht einigen können und auch in einigen anderen Konstellationen, dann geht es in die Einigungsstelle. Ich erlebe in meiner Beratungspraxis immer wieder, dass auch erfahrene Betriebsräte keine allzu klare Vorstellung darüber haben, wie das funktioniert und was da eigentlich genau passiert. Das ist leicht erklärbar, denn die allermeisten Betriebsräte sind tatsächlich noch nie in eine Einigungsstelle involviert gewesen. Warum das manchmal bedeutet, dass man Mitbestimmungsrechte verschenkt oder auch nur Einigungsmöglichkeiten auslässt, wie das eigentlich so abläuft in einer Einigungsstelle, darüber unterhalte ich mich heute mit einem der renommiertesten Einigungsstellenvorsitzenden in Deutschland, Holger Dahl.
Holger Dahl:
Danke, dass ich da sein darf, Herr Nörenberg. Ich freue mich sehr.
Marco Nörenberg:
Ja, ich auch. Herr Dahl, wir haben uns vor einigen Jahren kennengelernt und wie könnte es anders sein, natürlich in einer Einigungsstelle. Das Unternehmen wollte in unserem Betrieb die Marketingabteilung schließen und in die Konzernzentrale verlagern. Wir als Betriebsrat wurden uns mit dem Arbeitgeber weder über die Maßnahme noch über den Sozialplan einig. Zuletzt ging es dann in die Einigungsstelle. Welche Erinnerungen haben Sie noch an dieses Verfahren oder an vergleichbare Einigungsstellen, wo es darum geht, Personalabbau über den passenden Sozialplan zu verhandeln?
Holger Dahl:
Ja, erst nochmal vielen Dank, dass ich überhaupt da sein darf. Die Erinnerung an unsere Einigungsstelle ist geteilt. Ich habe eine sehr positive Erinnerung an Sie persönlich. Ich weiß noch, dass Sie als Hamburger mit einem Laptop da saßen und einen Eintracht Frankfurt Aufkleber auf dem Laptop hatten. Das hat mir als Frankfurter natürlich gut gefallen.
Marco Nörenberg:
Wenngleich Sie ja beim FSV aktiv gewesen sind, oder?
Holger Dahl:
Ja, und auch bei Eintracht Frankfurt in der Jugend. Aber die wollten mich dann nicht in dem Seniorenbereich haben. Irgendwie waren meine Fähigkeiten dann begrenzt sportlich. Aber ich habe eine positive Erinnerung an Sie, weil Sie das echt gut gemanagt und gut geleitet haben damals als, ich weiß gar nicht mehr, GBR- oder KBR-Vorsitzender. Also von daher habe ich da eine persönlich gute Erfahrung. An den Sachverhalt, wenn ich ehrlich bin, nicht mehr so eine gute Erinnerung, das ist jetzt ein paar Jahre her, was wir genau gemacht haben. Aber wenn Sie mich fragen, was habe ich für Erinnerungen oder Erfahrungen, jedenfalls bei Betriebsänderungen, Interessenausgleich, Sozialplan, dann sind das natürlich keine einfachen Einigungsstellen, weil Interessen
aufeinanderprallen. Der Arbeitgeber hat sein wirtschaftliches Interesse. Manchmal steht er mit dem Rücken an der Wand. Ich glaube, das war damals bei uns nicht unbedingt so. Da ging es eher um Effizienz. Aber natürlich stehen dann wieder Interessen der Arbeitnehmenden, heftige Interessen. Ich meine, wir haben da sehr intensiv über Standortwechsel für die Mitarbeitenden dann diskutiert. Gegebenenfalls auch Personalabbau. Das sind keine einfachen Einigungsstellen. Und da raucht es natürlich auf der einen oder anderen Seite mal, sowohl auf der Arbeitgeber- als auch auf der Betriebsratsseite. Also mich strengen diese Einigungsstellen an.
Marco Nörenberg:
Das kann ich mir vorstellen. Zumal es ja auch wirklich in überhaupt keiner Weise was Positives ist. Das Beste, was rauskommen konnte bei uns, war ein vernünftiger Sozialplan. Das hat weder den Personalabbau noch die Standortverlagerung irgendeiner Weise verhindert. Die Schicksale, die dahinter standen, waren auch hart. Aber es war am Ende ein erfolgreiches Einigungsstellenverfahren. dennoch, so richtig glücklich macht es einen nicht, weil man anders als in anderen Sachverhalten vielleicht auch nicht so eine richtige Lösung präsentieren kann, sondern nur irgendwie ein Ergebnis. Mit was für Themen gehen eigentlich Konfliktparteien sonst üblicherweise in so eine Einigungsstelle rein?
Holger Dahl:
Ja, lassen Sie mich zu Ihrer Bemerkung vielleicht noch eins sagen. Ich habe jetzt in den 20 Jahren, in denen ich das mache und weiß nicht, wie viele Betriebsänderungen ich gemacht habe, es wirklich in der Tat ganz selten erlebt, dass ein Arbeitgeber von einer Betriebsänderung im Rahmen der Einigungsstellen noch mal Abstand genommen hat. Denn eigentlich, also auch nicht nur eigentlich von Gesetzes wegen, ist es eben so, dass die Einigungsstelle praktisch den Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen darstellt. Das heißt, wenn die Parteien sich im Vorfeld nicht auf den Interessenausgleich verständigen konnten, dann geht er in die Einigungsstelle. Ja, wir wissen, ich habe keine Machtmittel per Spruch der Einigungsstelle, den Interessenausgleich anders zu gestalten oder zu verhindern, denn es gibt am es Ende nur, wenn es einen Spruch gibt, dass die Interessenausgleichsverhandlungen gescheitert sind. Aber ich habe ein paar Fälle schon gehabt, in denen ein Arbeitgeber in der Tat im Rahmen der Einigungsstelle auch noch mal signifikant die Betriebsänderung geändert hat und nicht, weil er gepokert hat, also manchmal pokern Arbeitgeber und sagen, naja, wenn du mir beim Sozialplan entgegenkommst, dann komme ich dir bei der Betriebsänderung noch mal entgegen und specke ab, sondern dass sich wirklich Arbeitgeber auch in der Phase noch überzeugen haben lassen von Betriebsräten. Wenn ich das vielleicht noch sagen darf, bevor wir vielleicht zum anderen kommen und Themen diskutieren, dass vielleicht ein Ratschlag, das haben Sie ja auch ganz klasse gemacht, dass man in Interessenausgleichsverhandlungen, wenn der Arbeitgeber Planungen aufnimmt, nicht in so eine Komplettopposition verfällt und den Arbeitgeber im Prinzip nur angeht, weil dann wird er nur zumachen, sondern in der Tat versucht zu überzeugen. Ich meine mich an unsere Verhandlungen zu erinnern, dass ihnen das damals auch sehr gut gelungen ist, im Rahmen des Bestmöglichen noch das herauszuholen, was herausholbar war, auch im Rahmen der Betriebsänderung. Also das vielleicht zum Thema Betriebsänderung.
Was sind so, außer Betriebsänderung, Gott sei Dank, andere Themen? Also momentan brennt Gesundheitsschutz. Klar, A, ist schon vor Corona dieses Thema Gefährdungsbeurteilung sehr hoch bekommen. Und jetzt durch Corona vor allen Dingen auch die Maßnahmen des Gesundheitsschutzes. Bei beiden bestehen Mitbestimmungsrechte. Dann haben wir viel Arbeitszeit. Das ist halt so ein Klassiker, aber wird natürlich jetzt noch mal Fahrt aufnehmen durch diese BAG-
Entscheidung vom 3. September zum Thema Arbeitszeiterfassung. Aber das ist eh immer ein Klassiker, was in letzter Zeit sehr häufig kommt, weil die Gewerkschaften so ein bisschen an Einfluss verlieren, sind Vergütungsordnungen. Also man merkt eben, dass mehr und mehr Betriebe, selbst die mal früher vielleicht sogar tarifgebunden waren, einfach nicht mehr die Power haben, Tarifverträge durchzusetzen und dann eben immer mehr Betriebsräte in das Thema Entgeltordnung einsteigen. Also das sind vielleicht so Themen, Gesundheitsschutz, das sind, und vor allen Dingen IT natürlich. Also ich glaube, es gibt kaum einen Einigungsstellenvorsitzenden, der sich nicht schnell auf Bäume flüchtet, wenn wieder eine Anfrage zum Thema einfällt.
Marco Nörenberg:
Ja, ich glaube tatsächlich, Betriebsänderung, um darauf noch mal ganz kurz zurückzukommen, da haben wir ja das Thema tatsächlich, dass wir im Grunde genommen eine mitbestimmungsfreie Betriebsänderung, aber einen mitbestimmungspflichtigen Sozialplan haben. Das, wie Sie es so angedeutet haben, das ist ja normalerweise auch das betriebliche Geschehen, dass man eben versucht über, ja, darf man das so sagen, über gestaltete Verhandlungen beim Sozialplan noch auf die Betriebsänderung selbst im Interessenausgleich Einfluss zu nehmen. Das Besondere finde ich ja, wenn Menschen wie Sie an so einer Einigungsstelle dann dazukommen, dann ist das ja schon auf irgendeine Weise im Betrieb nicht zustande gekommen. Also bei der Betriebsänderung ist meistens, finde ich, der Arbeitgeber, der dann sagt, ich will das eilig machen und schnell machen, ich will Laufruhe haben und das schnell umsetzen. Für die Betriebsräte ist natürlich teilweise genau der Zeitaspekt von der anderen Seite her ein wichtiger, vielleicht noch Zeit für Leute rauszuholen, damit sie sich noch ein bisschen einrichten können auf die möglichen Veränderungen. Das ist schon, finde ich, dann extrem schwierig in so einer Situation als Einigungsstellenvorsitzender. Ich stelle es mir auch wirklich immer schwierig vor.
War ja auch schwierig in der Situation, denn als wir in die Einigungsstelle reingegangen sind seinerzeit, sind wir uns überhaupt nicht einig gewesen, so gar nicht. Das sah ja auch am Anfang lange Zeit so aus, als würde es nicht gelingen und umso größer natürlich der Erfolg, den Sie da seinerzeit erzielen konnten. Vielleicht ganz ehrlich, seinerzeit waren Sie eigentlich auch gar nicht unsere erste Wahl. Wir hatten schon einige wirklich sehr gute Erfahrungen gemacht mit dem ehemaligen Richter des Landesarbeitsgerichts Bremen mit Herrn Bertzbach und der hat wirklich sehr, sehr tolle Einigungsstellen bei uns gemacht und auch immer beiden Seiten eigentlich auch dabei geholfen. Aber der Arbeitgeber hatte sie damals vorgeschlagen. Das ist natürlich auch für Betriebsräte manchmal auch eine Hypothek, wenn am Ende ein Einigungsstellenvorsitzender sitzt, der vom Arbeitgeber vorgeschlagen wird. Denn man unterstellt dann ja eigentlich, dass das ein harter Hund ist, der mehr oder weniger auf Geheiß des Arbeitgebers jetzt die Sache durchdrücken soll. Aber inzwischen sind Sie in dem ganzen Business bekannt geworden wie ein bunter Hund und in lauter Fachzeitschritt wie Juwe sind Sie sogar. Juwe ist natürlich für uns Fußballer auch ein Begriff als solches. Die Zeitschrift hat einen anderen Hintergrund, sind Sie aber demnach der gefragteste Einigungsstellenvorsitzende in ganz Deutschland. Vielleicht können Sie uns einmal aus Ihrer Sicht schildern, wie es zum allgemeinen Zustand kommt, dass Sie für eine Einigungsstelle als Vorsitzender gewonnen oder akquiriert werden und ob Sie auch auf solche Vorbehalte dann treffen, wenn der Arbeitgeber Sie vorschlägt, dann bei den Betriebsräten.
Holger Dahl:
Ja, jetzt nicht mehr. Am Anfang vielleicht schon. Aber da haben mich ja auch nicht nur Arbeitgeber vorgeschlagen, sondern auch Betriebsräte. Immer wenn eine Seite einen Einigungsstellenvorsitzenden vorschlägt, fragt sich natürlich die andere Seite erst mal, warum
schlagen die den vor? Warum finden die den gut? Mittlerweile, vielleicht auch dank Juwe, aber vor allen Dingen, wie in jeder Dienstleistungsbranche, auch natürlich durch Mundpropaganda. Die Fachleute, so Leute wie Sie, die haben eben schon ihre Erfahrung gemacht und dann gibt es im Prinzip so ein Empfehlungsgeschäft. Das ist bei einem Partner oder bei einem Arzt nicht anders wie bei einem Einigungsstellenvorsitzenden. Deshalb gibt es halt mittlerweile Leute, die sich ein gewisses Renommee aufgebaut haben, Herr Bertzbach gehört dazu, die, die sich am Markt im Prinzip etabliert haben. Häufig ist es so, also bei mir ist es mittlerweile so, dass die meisten mich mittlerweile kennen, weil ich auch das hauptberuflich mache, im Gegensatz zu vielen anderen, die das nebenberuflich als Richter machen, habe ich natürlich auch einen höheren Verbreitungsgrad. Deshalb kennen mich mehr Leute und haben auch schon Erfahrungen mit mir gemacht. Deshalb ist es für so Leute wie mich dann ein bisschen einfacher. Ich glaube, Leute, die neu in den Markt rein wollen, das geht momentan sowieso nach wie vor nur, wenn du Richter bist, aktiver Richter bist. Dann musst du wahrscheinlich irgendwie einen guten Eindruck in der Gerichtsverhandlung gemacht haben, sodass irgendwo mal ein Anwalt auf dich aufmerksam wird und sagt, ach komm, wir probieren den mal als Einigungsstellenvorsitzenden aus. Denn im Prinzip ist es so, entweder werde ich von der einen oder anderen Seite vorgeschlagen und dann kennen mich meistens entweder die Betriebsparteien oder die Anwälte oder haben zumindest von mir gehört.
Und Juwe, klasse, freut mich natürlich sehr, geht runter wie Öl. Vor allen Dingen Juwe auch noch. Also wie Sie richtig sagen, dass Juwe mich mal lobt, habe ich mir eigentlich anders erträumt. Auf dem grünen Rasen. Aber das ist natürlich wie mit jedem anderen Ranking auch. Ich habe es natürlich ein bisschen einfacher, weil ich eben einen Verbreitungsgrad habe und ob das dann immer noch so richtig ist und das, was die Leute dann als Empfehlungen geben, dann das Richtige ist, weiß man auch nicht. Also in dieser Juwe-Tabelle stehen ganz viele Leute nicht drin, die ganz fantastische Einigungsstellenvorsitzende sind.
Marco Nörenberg:
Ja, keine falsche Bescheidenheit. Also ich kann zumindest über unser Einigungsstellenverfahren sagen, dass Sie das damals mit kluger Moderation geschafft haben, dass sich die streitenden Parteien immerhin noch geeinigt haben. Das ist ja, finde ich, etwas, was bei diesem Einigungsstellenverfahren auch vom Begriff her schon dazu gehört. Die hat ja ihre Bezeichnung eigentlich daher, dass das gelingen soll, mit einem externen Dritten sich zu einigen, der vielleicht auch nur eine gewisse Autorität hat. Das habe ich auch schon öfters erlebt, dass in der Einigungsstelle wirklich Einigungen zustande gekommen sind, die vorher nicht möglich gewesen schienen. Schildern Sie doch vielleicht mal Ihre Sicht auf dieses Thema. Ist die Einigungsstelle auch aus Ihrer Sicht so eine zusätzliche Chance oder stehen sich da im Regelfall die streitenden Parteien unversöhnlich gegenüber? Und wie kommt das überhaupt? Was ist Ihre Rolle? Wie schaffen Sie es dann, da konstruktive Ergebnisse und Einigungen hinzubringen? Immerhin hat es ja vorher im Betrieb nicht funktioniert.
Holger Dahl:
Ja, also zu 90 Prozent kriegen wir Einigung hin, glaube ich, in der Praxis. Deshalb ist es ein wichtiges Mittel für die Betriebsparteien. Ich finde es auch total cool, dieses Mittel der Einigungsstelle, dass wir eben nicht ein Gerichtsverfahren haben, in dem rauskommt, richtig oder falsch, sondern ein strukturiertes Verfahren bietet, um den Betriebsparteien tatsächlich eine Lösung herbeizuführen. Und na klar, vertrauensvolle Zusammenarbeit, §2, in 95 Prozent aller Fälle sollte es den Betriebsparteien gelingen, ohne eine Einigungsstelle-Lösung zu finden. Das ist Ihr Job. Den haben Sie ja auch jahrelang super gemacht. Die Einigungsstelle muss ein Ausnahmemechanismus
sein. Dann, wenn man nur noch Einigungsstellen hat, dann ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit bestimmt ein Stück weit jedenfalls aus den Fugen geraten. Denn immer nur den Dahl oder den Bertzbach oder andere Einigungsstellen Vorsitzende zu holen, das kann auch nicht die Lösung sein. Aber die Einigungsstelle als ein strukturiertes Verfahren zu nutzen, um zu einer Lösung zu kommen, in dem ein Dritter einem noch mal eine Plattform bietet, einen strukturierten Interessenausgleich, das finde ich schon, dass das was sehr Positives ist.
Und was machen wir dann so? Also es gibt nicht so einen Ablaufplan für Einigungsstellenvorsitzende. Es gibt ja auch keine Schulung für Einigungsstellenvorsitzende. Also das sind dann eben, wie gesagt, Leute, wie ich, mit dem Hintergrund des Richters meistens, manchmal Professoren, die dann irgendwie tätig werden. Aber wir, Sie haben es erlebt, man nimmt erst mal die Position auf, man nimmt erst mal den Sachverhalt auf. Man muss sehr viel, sehr aufmerksam sein, sehr schnell sein im Kopf, um die richtigen W-Fragen zu stellen, um den Sachverhalt zu ergründen und um dann von dem Sachverhalt über die Position zu den Interessen zu kommen. Die Interessen dann rauszuarbeiten und dann zu versuchen, mit verschiedenen Techniken normalisieren, auch den eigenen Erfahrungsschutz einzubringen, zu sagen, andere Leute in eurer Ecke haben mal an Folgendes gedacht, wäre das auch eine Idee für uns, um dann eben Lösungsspielräume. Das ist im Prinzip so ein mediativer Ansatz, also Harvard-Konzept, klar. Aber was natürlich meine Rolle ein Stück weit noch mehr ist, A, nicht nur zu strukturieren, sondern B, auch Einfluss zu nehmen und die Parteien so ein bisschen behutsam und manchmal nicht behutsam, ich weiß, manchmal war ich nicht ganz behutsam, aber auch behutsam in so Lösungsspielräume reinzubekommen. Manchmal vielleicht sogar indem ich ihnen zeige, ihr steht am Abgrund. Wenn ihr noch einen Schritt weitergeht, macht das doch keinen Sinn.
Also klar, manchmal Appellcharakter, aber verschiedene Gesprächstechniken, um im Prinzip sowas zu gewährleisten und um bestmöglich den Spruch zu verhindern, weil also, na klar, manchmal, und da muss man auch aufpassen, wenn ich jetzt so langatmig bin, aber Sie merken, für mich alsEinigungsstellenvorsitzender ist das Schlimmste gar nicht der Spruch. Das Schlimmste ist, ich gebe die Verhandlungen aus der Hand und ich habe dann wieder eine Sitzung und wieder eine Sitzung und weiß schon nicht mehr, was ich in der letzten Sitzung gemacht habe. Gerade bei IT-Systemen ist so die Gefahr, dass das passiert oder auch im Gesundheitsschutz und deshalb das strukturierte Verfahren zu haben und darauf Einzugfluss zu nehmen, aber andererseits auch zu wissen, wenn ich hier keine Lösung hinbekomme, dann muss es gegebenenfalls auch einen Spruch geben, dann streiten die sich zwar weiter, dann kündigt einer den Spruch oder er wird angefochten, aber die sind vielleicht auch froh, einfach mal so eine Etappe erreicht zu haben und manchmal macht man sogar einen Spruch und die Parteien sagen, Gott sei Dank, es ist zwar jetzt nicht das, was wir beide wollten, aber wir sind froh, dass wir den Streit mal aus dem Kreuz haben.
Marco Nörenberg:
Vielleicht bevor wir gleich noch mal zu diesen Besonderheiten dieses Spruchs kommen. Ich glaube, das ist ja etwas, was insbesondere bei Betriebsräten, die noch nie in der Einigungsstelle gewesen sind oder noch nie bis zu diesem Zeitpunkt gekommen sind, ist das ja fast schon mit einem Mysterium belegt, der Spruch der Einigungsstelle. Da würde ich gleich gerne noch mal zu kommen. Aber vielleicht noch mal kurz nachhaken, Herr Dahl, bei Ihrer Rolle, denn ich habe das ja tatsächlich auch am eigenen Leib erfahren, wie das so sein kann, wenn du in so einer Einigungsstelle von einem Gefühl ins andere hin und her geschleudert wirst. Wir hatten ja tatsächlich eine Situation, die war ausgesprochen kompliziert, weil es um eine Änderung ging, die für die Betroffenen eine Standortveränderung von 400 Kilometern bedeutet hätte und am Ende ist es
ja praktisch für uns unmöglich gewesen, an die Betriebsänderung heranzugehen. Wir haben dann versucht, wenn ich es mal so sagen darf, ist ja jetzt ein paar Jahre her, hört ja keiner zu, durch den Sozialplan, also die Soße so teuer zu machen, dass der Braten nicht mehr schmeckt. Das haben sie relativ zügig erkannt und wie ich auch wahrgenommen habe, eigentlich in Anführungsstrichen versucht zu durchkreuzen und gesagt, Mensch, hier geht es um den Sozialplan und wenn Sie über die Betriebsänderung verhandeln wollen, das ist nicht die Einigungsstelle hier dafür. Das hat mich, wie soll ich sagen, erst mal bewegt, weil ich ja eigentlich was ganz anderes wollte als einen herausragenden Sozialplan. Ich wollte ja die Leute in Hamburg behalten, mindestens so viele, dass da keine Härten entstehen. Aber im Laufe des Verfahrens ist es auch tatsächlich dahin gekommen, dass der Arbeitgeber die Maßnahme auch angepasst hat. Ich hatte erst hinterher erfahren, dass auch der Arbeitgeber, nicht so ganz happy damit gewesen ist, dass sie viel zu lange mit uns über diese super teuren Sozialplan gesprochen haben und da auch deutlich gemacht haben, so nach dem Motto, das bringt euch dann auch keinen Spaß, wenn Sie den Reinkultur umsetzten.
Wie so eine Art Schiedsrichter beim Fußball, da wirst du von beiden Seiten nicht geliebt. Sondern im Grunde genommen fragen sich alle, in welche Richtung geht das jetzt hier? Diese Besonderheit, beiden Seiten vielleicht Einigungskorridore aufzuzeigen, aber auch beide Seiten dahin zu lenken, dass sie genau in diese Korridore auch reingehen, das stelle ich mir extrem schwierig vor. Vielleicht mögen Sie noch ein kurzes Wort sagen zu dieser Atmosphäre in so einer Einigungsstelle, weil ich glaube nicht, dass Sie da automatisch immer gleich sofort von Anfang an der beliebteste Typ sind.
Holger Dahl:
Ich werde das leider auch bis zum Ende häufig nicht. Also ich hätte auch gerne Einigungsstellen, die mit Applaus enden und Jubel rufen, aber wie gesagt, da sind wir wieder auf einem anderen Spielfeld. Das wäre mir natürlich auch lieber, aber es ist in der Tat so, Lösungskorridore zu öffnen, das kostet Schmerzen für alle, für Sie und für mich. Für mich ist es super schwer, einerseits muss man transparent und offen bleiben, also man darf die Parteien nicht verlieren und das Vertrauen der Parteien. Andererseits muss man ihnen ein positives Gefühl vermitteln. Dann muss man ihnen aber auch Grenzen aufzeigen, weil der Lösungskorridor da eigentlich nicht ist. Wann komme ich zum Beispiel auch mit juristischen Argumenten? Wie Sie sagen, naja Vorsicht, wann durchkreuze ich denn irgendeinen Plan, um tatsächlich irgendwie mal einen Schub drauf zu bekommen. Also in der Tat ist das nichts und das kann ich auch nicht durch das Harvard-Konzept irgendwie lernen oder durch eine Mediationsausbildung. Das sind ja eigentlich, also jetzt wird es ja interessant, jetzt musst du ja die Leute mehr oder weniger mit ein bisschen Kante und Druck in Lösungskorridore bringen. Dann hast du ja auch noch die Pendel-Diplomatie, ich sitze dann bei Ihnen, Sie sagen mir dann, was für ein doofer Hund ich bin, dann gehe ich wieder zum Arbeitgeber, der sagt mir dann auch wieder, was ich für ein doofer Hund bin. Blöd ist es auch, wenn mir einer dann sagt, du bist toll, der andere sagt, du bist ein doofer Hund, das ist dann auch wieder blöd, dann habe ich den anderen wieder komplett abgehängt. Aber immer den Hang in die Mitte zu machen, ist ja auch Quatsch, weil jetzt, dann werden Sie sich ja das nächste Mal überlegen, naja, dann muss ich halt nur mit einer brutalen Forderung reingehen, dann bekomme ich schon irgendwie die Mitte. Also dieses Kompromiss suchen in der Mitte ist ja auch Quatsch. Also in der Tat, da kann ich gar nicht so eine richtige Toolbox aufmachen, um so etwas zu zeigen. Für mich ist das auch jedes Mal wieder neu, jedes Mal eine neue Situation und teilweise auch emotional belastend, weil das einfach Kraft kostet, Lösungskorridore zu öffnen.
Marco Nörenberg:
Aber das sind extrem hohe Anforderungen, finde ich jedenfalls, an den Einigungsstellenvorsitzenden. Da habe ich auch, wenn ich das mal so zurückgeben darf, auch extrem gute Erinnerungen an unser Einigungsstellenverfahren. Denn am Ende ist es so gewesen, tatsächlich war unser Interesse in erster Linie im Interessenausgleich. Allerdings war das eine mitbestimmungsfreie Angelegenheit und wir haben halt über den Sozialplan penetriert, um beim Interessenausgleich das zu erreichen, was am Ende beim Einigungsstellenverfahren herausgekommen ist. Der Sozialplan ist gar nicht so attraktiv geworden, wie er vielleicht hätte sein können, wenn man sich nur um den kümmert. Tatsächlich ist aber Bewegung beim Interessenausgleich reingekommen. Insoweit haben beide Seiten nicht das erreicht in Reinkultur, mit dem sie reingegangen sind. Aber wenn sie sagen Harvard-Konzept, guck auf die Interessen, das ist ja dann doch gelungen. Der Arbeitgeber hatte noch Spielraum bei der Betriebsänderung und das ist gelungen, eben das so zu verknüpfen. Es wurde gesagt, Mensch, wir haben doch gute Leute hier in Hamburg im Marketingbereich. Wenn ihr das jetzt mit Gewalt macht, dann gehen euch auch Skills verloren. Warum wollt ihr die teuer bezahlen, wenn ihr die hier noch mit Lösungen irgendwie beibehalten könnt? Und das ist gut gelungen. Also von daher auch noch mal vielen Dank an dieser Stelle. Jetzt ist ein paar Jahre her, aber hat uns dann wirklich auch weitergeholfen.
Rund um das Thema Einigungsstelle, Herr Dahl, gibt es ja bei Wahrnehmung von Betriebsräten so zwei große Mysterien. Das Erste ist, wie komme ich eigentlich in eine Einigungsstelle? Ich habe das immer wieder noch in meinen Betriebsverfassungsgrundseminaren, dass Betriebsräte
denken, das ist irgendeine ständige Stelle, die man, wie soll ich sagen, kontaktiert und dann sitzt da einer und sagt, darauf habe ich jetzt nur gewartet. Also dieses Thema, ich rufe eine Einigungsstelle an, das ist ein wirklich Unbekanntes. Und das Zweite ist, wie kommt eigentlich so ein Spruch zustande? Das ist etwas, worüber ich mich gerne jetzt mit Ihnen länger unterhalten möchte, beziehungsweise mal ein bisschen nachfragen möchte, weil Sie das im Grunde genommen immer als Szenario noch mit auf dem Zettel haben müssen. Es kann sein, dass man sich nicht einigt. Wie muss man sich das vorstellen, so ein Spruch der Einigungsstelle? Sind Sie da so eine Art Richter, der entscheidet wie es zu laufen hat oder schlagen Sie sich
irgendwann auf eine Seite? Machen Sie eigene Vorschläge? Ich meine, es ist immerhin eine Situation, wo es im betrieblichen Verhandlungsprozess nicht gelungen ist und auch unter Ihrer Moderation vielleicht nicht gelungen ist, Einvernehmen herzustellen. Trotzdem muss das irgendwie vom Tisch entschieden werden. Wie läuft das und wie kommt das am Ende dazu?
Holger Dahl:
Ja, also in der Tat ist es nicht immer die gleiche Situation. Ich nehme ein Beispiel, Arbeitszeit. Wir verhandeln dann eben eine BV-Arbeitszeit. Der Betriebsrat geht mit dem Entwurf in die Einigungsstelle. Der Arbeitgeber geht mit dem Entwurf in die Einigungsstelle. Meistens ist es so, dass da nicht spruchfähige Teile dabei sind. Betriebsräte, die zum Beispiel
sagen, wir hätten ganz gerne einen Überstundenzuschlag mitverhandelt oder der Arbeitgeber, der dann sagt, ja, aber ich möchte auch noch eine Möglichkeit haben, Dienstpläne kurzfristig zu
ändern, Leute wieder aus dem frei zu holen. Auch was, was das BAG eher kritisch sieht. Also da sind dann häufig Bestandteile drin, die auch gar nicht mal unbedingt spruchfähig sind. Dann prallt es aufeinander. Gerade bei der Arbeitszeit ist das anstrengend. Arbeitgeber, die dann nicht wollen, dass AT-Mitarbeitende überhaupt in die Arbeitszeiterfassung kommen. Die Betriebsräte dann wieder auf die EuGH-Rechtsprechung des BAG hinweisen und so weiter.
Also man hat einen intensiven Diskussionsprozess. Man versucht den Interessenabgleich. Irgendwann stellt man dann fest, hoffentlich nicht so spät, weil wenn man das erst nach zehn
Sitzungen feststellt, sind alle ermüdet und entkräftet. Also irgendwann stellt man fest, das funktioniert so nicht. Dann gibt es die Möglichkeit. Dann stellen wir das alle gemeinsam fest und sagen, also pass mal auf, so geht es scheinbar nicht. Dann ist es eben so, dann muss es eben einen Spruch geben. Dann drohe ich noch ein paar Mal und spuck noch mal, weil ich dann eben sage, naja, also ob das jetzt so sinnvoll ist, das wird doch sowieso gekündigt und angefochten und so weiter. Aber dann sagen die Parteien doch, wir wollen das so, okay. Dann ist es natürlich so, dass ich erstmal jedenfalls normalerweise die Karte spiele, gut, dann macht doch mal einen spruchfähigen Vorschlag. Dann werdet ihr sehen, wie wenig dann da drinne steht. Dann machen die Parteien häufig einen spruchfähigen Vorschlag und in aller Regel ist es so, dass ich mich nicht unbedingt auf das einlasse, was die eine Seite macht, sondern in der Tat, wie Sie richtig vermuten, dann einen eigenen Vorschlag irgendwann einbringe. Dann ist es relativ simpel. Ich muss jemanden haben, der da irgendwie mitstimmen möchte. Wenn es den einen gibt, der mitstimmen möchte, dann geht man in eine abschließende Beratung rein und dann kommt es zu einem Abstimmungsverfahren. Das wird dann zweistufig sein, sodass dann eben erstmal die Parteien abstimmen. Dann wird es zu einem Ergebnis kommen, Beisitzende gegen Beisitzende, das heißt ein Patt. Dann soll es eigentlich nach dem Gesetz nochmal eine Erörterung und Beratung geben. Die kann man sich schenken, weil was soll denn da passieren? Dann stimme ich mit und dann würde meine Hand höchstwahrscheinlich mit dem hoch.
Ich habe schon bei Einigungsstellenvorsitzenden gehört, wir haben einen eigenen Spruchvorschlag gemacht, haben aber dagegen gestimmt. Das ist dann blöd. Also meine Hand sollte dann mit meinem eigenen Spruchvorschlag gehen, das macht schon Sinn, weil das Problem eben ist und wenn es keine Situation gibt, bei der ich mitstimmen würde oder könnte, dann würde die Einigungsstelle noch nicht fertig werden. Also das heißt, das ist dann im Prinzip so ein Buhlen um den Einigungsstellenvorsitzenden. Ich habe das wie gesagt am Montag mit einer BV-Arbeitszeit, da wird es so sein, da werde ich, da gibt es auch nur zwei, da gibt es nur schwarz und weiß, da gibt es nicht irgendwie was für mich noch dazwischen. Da muss ich eben mitstimmen und dann buhlen im Prinzip die Betriebsparteien um den Einigungsstellenvorsitzenden.
Marco Nörenberg:
Also kann man tatsächlich sich das so vorstellen? Im Extremszenario ist das ja so, von Ihrem Kompromissvorschlag will keine Seite was hören, die sagen entweder Sieg oder besiegt werden und dann haben Sie am Ende gar keine andere Wahl, als sich einer Seite dann anzuschließen. Muss man sich das so vorstellen?
Holger Dahl:
Nee, nee, nee, das nicht. Also das kann passieren, aber in 90 Prozent der Sprüche ist es so, dass ich eben einen Vorschlag mache, dann schließen die sich dem nicht an, dann reduziere ich den Vorschlag auf die spruchfähigen Teile und dann sage ich, guck mal, das ist es jetzt und wenn dann immer noch einer nicht mitstimmt, gucke ich nach links und nach rechts und gucke einfach, wann würde denn einer von den beiden mal mitstimmen, wenn ich etwas verändere. Also man versucht dann im Prinzip, also ich versuche dann schon bestmöglich meinen Vorschlag durchzubringen, es sei denn, ich komme ausnahmsweise eine Situation, in der ich, aber nochmal, das soll ja auch ein vernünftiges Ergebnis sein und wenn eine Partei da wäre, die ein komplett unvernünftiges Ergebnis hat, ja was soll ich machen, dann muss ich mit der anderen Seite eben mitstimmen. Aber in der Regel ist es aber so, dass ich schon sehe, dass es da noch ein Interessenausgleich geben kann.
Marco Nörenberg:
Das ist wichtig, Herr Dahl, denn im Grunde genommen, mein Anliegen ist ja, Betriebsräte zu beraten und wenn die mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten haben, wo sie mit den Arbeitgebern aneinanderprallen, dann stellt sich ja die Frage, Einigungsstelle ja oder nein. Viele haben da, natürlich, weil sie es auch gar nicht kennen, so eine richtige Scheu davor, dass sie am Ende da irgendwie, wie soll ich sagen, vor Gericht landen, in Anführungsstrichen mit kriegerischen Auseinandersetzung und die Kultur dann auf Jahre zerstört ist. Ich finde es ganz wichtig zu erfahren, einfach auch von Ihnen, der sowas ja wirklich hauptberuflich macht, seit vielen Jahren, dass da im Grunde genommen versucht wird, über eine Einigung hinzukommen und dass das auch gelingt in vielen, vielen Fällen.
Ich selbst habe, wie gesagt, die Erfahrung auch nicht nur bei Ihnen in dem Verfahren, sondern auch in anderen Verfahren gemacht, dass wir wirklich noch mal Meter gemacht haben in so einer Einigungsstelle. Von daher ist auch mein Appell, und das bringt mich jetzt auch so ein bisschen zu meiner fast schon Schlussfrage an Sie, mein Appell ist das als zusätzliche Chance zu begreifen, wenn man im betrieblichen Miteinander irgendwie an Punkte kommt, wo man nicht mehr weiter weiß. Da sind dann solche Impulse von außen, wo jemand sagt, du weißt nicht genau, was macht er am Ende und so, sehr wertvoll. Das ist schon etwas, wo man sich noch mal neu bewegt und darauf einstellt. Wenn dann beide Seiten tatsächlich auch in so einem Verfahren noch immer offen sind für den Anderen und sagen, ich will mich darauf einlassen, mir das alles anzuhören und dann sind sie am Ende froh, wenn es zu einer Lösung kommt, dann ist das wirklich ein zusätzlicher Nutzen, den man erreichen kann. Deswegen ist das eigentlich schon fast mein Fazit nachher. Aber ich habe noch eine Frage an Sie, dass man sowas auch tatsächlich nicht so verdammen sollte, sondern bevor man am Ende das Mitbestimmungsrecht völlig aufgibt und sagt, ja gut, dann konnte ich mich halt nicht durchsetzen, Arbeitgeber, mach wie du denkst, da würde ich das doch mal versuchen. Das ist ein attraktiver Weg dann, wenn man im Betrieb nicht weiterkommt.
Vielleicht aber, Herr Dahl, an Sie, ist vielleicht eine gemeine Frage, so ein bisschen am Schluss, denn Sie leben ja im Grunde genommen davon, dass sich die Parteien nicht einigen können. Also die Aufträge kommen dann, wenn jemand die Einigungsstelle anruft. Das ist ja Ihr Business dann, das Herstellen von Einigkeit und das Zusammenführen streitender Parteien. Welche Ratschläge würden Sie vielleicht an die Parteien geben, um Einigungsstellenverfahren vermeiden zu können, um sich im Betrieb noch einigen zu können, um vielleicht diesen, wie soll ich sagen, etwas ungewöhnlichen Schritt, diese unvermeidliche Einigungsstelle noch zu umgehen?
Holger Dahl:
Ja, also ich glaube Sie haben vorher was gesagt, was ich total richtig fand. Das spielt
auch bei der Vermeidung der Einigungsstelle eine Rolle. Immer Haltung bewahren und immer, also von dem Einigungsstellenvorsitzenden die Butter nicht vom Brot nehmen zu lassen, sondern es ist immer noch der Konflikt der Betriebsparteien. Das ist nur ein Mittel. Also der Einigungsstellenvorsitzende ist nicht so jemand, der da rein kommt mit irgendeiner
Aura und irgendwie eine ganz tolle Autorität hat, sondern es ist ein Mittel, es ist eines von verschiedenen Mitteln, die ich eben habe, um einen Konflikt irgendwie in eine vernünftige Bahn zu bekommen. Ich habe dabei aus meiner Sicht überhaupt nichts zu verlieren, denn wenn ich es vorher, wie Sie richtig sagen, ist der eigentliche Ziel, ich kriege es vorhin, dann gehe ich in das
strukturierte Verfahren. Zu 90 Prozent kriege ich in der Einigungsstelle eine Lösung hin und selbst in 10 Prozent, in denen es dann zu einem Spruch kommt, mag der Spruch schon eine Bereinigung
sein oder ist jedenfalls eine weitere Etappe und da ist jedenfalls eine Zwischenetappe auf dem Weg der Konfliktlösung. Ich glaube, und das ist das, was ich den Leuten gerne empfehlen möchte, Haltung bewahren, Selbstvertrauen bewahren, Selbstbewusstsein bewahren und den Konflikt in beiden Händen behalten. Ich glaube, und das war ja auch, so haben ja auch Sie Ihre Verhandlungen geführt, so habe ich Sie in Erinnerung, dass man einfach das als einen Punkt in eine Toolbox begreift, die mir als Betriebsrat zur Verfügung stehen und nicht lamentiere und sage, um Gottes willen, jetzt bin ich in der Einigungsstelle, sondern jetzt einfach sage, ich bleibe immer noch im Driving Seat. Das ist, glaube ich, was ich echt empfehlen kann, gerade in der Zeit, in der Konflikte härter werden, auch einfach dadurch, dass wir Globalisierung, Matrixorganisationen, immer höhere Effizienzerwartungen von Arbeitgebern haben, immer mehr Vergleichbarkeit haben in Konzernen und vielem mehr.
Also in dem Moment, in dem ich das immer habe, finde ich es halt einfach richtig, wenn ich im Driving Seat bleibe, meinen Verhandlungspartner richtig einschätze, was hat er für Verhandlungsspielräume und im Prinzip auch tatsächlich irgendwie dann wirklich versuche, zu Lösungen zu kommen und mir genau überlege, dass die Einigungsstelle eine Möglichkeit sein kann, aber in 90 Prozent ich zu einer anderen Lösung, also ohne Einigungsstelle kommen will und mir genau überlege, wie ich das hinkriege. Das ist ein strategisches Geschäft und so schätze ich Sie ja auch ein, Sie haben extrem strategisch agiert und so ist das eben. Ohne persönliche Betroffenheit und persönliche Empfindlichkeit, natürlich ist man, Sie waren auch involviert, ich bin involviert, immer klar, wollen wir gelobt werden, wollen die Dinge gut machen, aber zu versuchen, die persönliche Betroffenheit außen vor zu lassen und das nicht auf eine emotionale Ebene konzentrieren, sondern das nüchtern zu sehen. Das ist ein Arbeitgeber, der hat gerade folgenden Personalleiter, der macht Dinge deswegen so, der steht unter Druck, steht nicht unter Druck, wie ist denn meine Rolle hier, was kann ich denn erreichen und wann kann ich was genau erreichen, mit welchen Mitteln. Ich glaube, die Betriebsratstätigkeit hat sich so ein bisschen weg von dieser persönlichen Ebene. Ich habe einen Buddy auf der Arbeitgeberseite, wir machen das seit zehn Jahren so, das ist nicht mehr, den Buddy gibt es nicht mehr, man muss das strategischer betreiben, glaube ich.
Marco Nörenberg:
Ja, zumindest in größeren Häusern ist das eindeutig so, habe ich auch selbst festgestellt und sind da auch die Anschlüsse verloren gegangen und da muss man es halt tatsächlich wie ein Business sehen. Das ist manchmal eine harte Schule, weil man ja im Grunde genommen sich aus einer anderen Welt in diese Betriebsratstätigkeit hineinbegibt, aber irgendwann in solchen Situationen lernt man es dann auf die leider harte Weise. Herr Dahl, damit sind wir am Ende unseres Gesprächs angekommen. Einen Punkt haben Sie noch, ich sehe schon, Sie haben gerade Luft geholt.
Holger Dahl:
Das ist ja auch der Grund, warum in der Praxis momentan so diskutiert wird, wie denn eigentlich die Betriebsratsvergütung ist, weil sich die Betriebsräte eben auch eher mittlerweile aus ihren Rollen heraus entwickeln im Prinzip. Co-Manager wollen die Arbeitgeber nicht hören, aber im Prinzip in eher so eine strategische Position entwickeln müssen und dann man fragt, ist das eigentlich, wie müsste dann die Vergütung eigentlich sein? Aber ich glaube, das ist eine Baustelle, die wollen Sie nicht mit mir diskutieren.
Marco Nörenberg:
Schon, ganz gerne, aber jetzt nicht, denn das sprengt hier diesen Rahmen zumindest, denn Herr Dahl, das ist wirklich ein total interessantes Gespräch hier gewesen. Ich könnte es auch wirklich noch lange fortsetzen, weil nicht nur die Einigungsstelle selbst, sondern auch ihre ganzen Erfahrungen in dem Zusammenhang extrem interessant sind, denn das ist ja tatsächlich eine andere Sichtweise, die des Einigungsstellenvorsitzenden. Mein Business ist ja eher, Betriebsräte vorzubereiten oder beziehungsweise zu beraten und das wäre auch an dieser Stelle auch mein Angebot an die zuschauenden und zuhörenden Betriebsräte, wenn ihr in so ein Einigungsstellenverfahren mal reingehen müsst oder beziehungsweise die Verhandlungen vorher noch mal versucht, auf ein anderes Gleis zu setzen, dann ist es manchmal gar nicht so schlecht, diesen Verhandlungsprozess neu zu bedenken, zu strukturieren, sich zu überlegen, wo könnten die Interessen der anderen Seite liegen, so eine Stakeholder-Analyse vielleicht im Hintergrund zu machen. Das sind Sachen, bei denen ich dann Betriebsräte helfe und wenn es in eine Einigungsstelle dann reingeht, auch sowas vernünftig vorzubereiten, wie man da seine Positionen bekleidet und so. Natürlich wünsche ich den Betriebsräten, dass sie die Einigungsstellenverfahren vermeiden können, weil sie sich mit dem Arbeitgeber konstruktiv im Vorwege einigen. Aber wenn es dann mal in die Einigungsstelle geht, dann wünsche ich euch einen Vorsitzenden wie Herrn Dahl, denn das war wirklich eine klasse Erfahrung, die wir da gemacht haben. Herr Dahl, vielen, vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen alles Gute nach Frankfurt, glaube ich, ist es richtig? Nach Frankfurt. Das war meine fußballerische Herzenstadt, genau, im Herzen von Europa. 5-1 gegen Leverkusen hat Spaß gemacht gestern. Alles Gute Ihnen. Tschüss, Herr Dahl.
Holger Dahl:
Vielen, vielen Dank.
#Betriebsrat #Einigungsstelle #360GradBR
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